Auch in anderen Teilen des Landes kam es nach indischen Medienberichten zu Demonstrationen. Die linken Parteien, die die Minderheitsregierung von Manmohan Singh unterstützen, äußerten im Parlament heftige Proteste gegen die imperialistische US-Politik. Die Parlamentssitzung musste unterbrochen werden.
Der kommunistische Abgeordnete Hannan Mollah sagte in der Sitzung: Bush ist der größte Feind der Menschheit, der größte Mörder dieses Jahrhunderts. Vor der Ankunft Bushs hatten am Mittwoch bereits rund 100.000 Muslime gegen den Präsidenten protestiert. Bush war am Donnerstag bei seinem ersten Besuch in Indien mit Premierminister Manmohan Singh und Präsident A.P.J. Abdul Kalam zusammengekommen. Bush reist am Samstag weiter nach Pakistan.
Nuklearabkommen USA-Indien
Mit der Zusage einer engen atomaren Zusammenarbeit hat US-Präsident George W. Bush bei seinem ersten Indien-Besuch einen deutlichen Wechsel in den Beziehungen zu Neu-Delhi vollzogen. Unsere Beziehungen ändern sich grundlegend, sagte Bush am Donnerstag nach einem Gespräch mit Regierungschef Manmohan Singh in Neu-Delhi. Auch Singh sprach von einem historischen Tag.
Der indische Premier sagte nach dem Treffen mit Bush: Wir haben heute Geschichte geschrieben. Der US-Präsident betonte: Unser Verhältnis ändert sich dramatisch. Indiens Erzrivale Pakistan kündigte an, sich bei dem Besuch Bushs am Samstag ebenfalls um eine entsprechende Vereinbarung zu bemühen. Nach jahrzehntelang gespannten Beziehungen wollen die USA und Indien eine neue Ära beginnen. Kritikern zufolge will Washington so ein Gegengewicht zu dem wachsenden Einfluss von China schaffen.
Wir haben heute eine historische Vereinbarung über die Atomkraft abgeschlossen, sagte Bush. Die Neuorientierung sei erforderlich und im Interesse beider Völker. Es ist in unserem Interesse, dass Indien Zugang zur Atomkraft hat, um den Druck auf die Energienachfrage zu vermindern, fügte Bush hinzu. Singh zeigte sich erfreut, dass eine Grundsatzvereinbarung über atomare Zusammenarbeit vom vergangenen Juli damit Gestalt annehme. Die Vereinbarungen zwischen Bush und Singh müssen vom US-Kongress und der Gruppe der wichtigsten Kernkraft-Lieferländer (Nuclear Suppliers Group) genehmigt werden. Bush sagte zu, sich dafür einzusetzen.
Bush sagte, mit der Nutzung ziviler Atomenergie durch Indien werde Druck von den Ölmärkten genommen, was auch amerikanischen Verbrauchern zugute komme. Das Abkommen mit Indien sei Teil der US-Bemühungen, die weltweite Abhängigkeit vom Öl zu beenden. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es, Indien und die USA wollten ihr bilaterales Handelsvolumen in den kommenden drei Jahren auf 50 Milliarden Dollar (knapp 42 Milliarden Euro) verdoppeln. Die USA sind Indiens größter Handelspartner. Indien ist der am schnellsten wachsende Exportmarkt für die USA.
Die Wende in der US-Politik gegenüber Indien scheint bedeutend zu sein. Der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Bolton, hatte am Mittwoch sogar gesagt, Indien habe seine Atombomben wie sein Nachbar Pakistan auf legitime Weise erworben. Sie haben nie vorgegeben, dass sie das Streben nach Nuklearwaffen aufgegeben hätten. Anders als der Iran, fuhr Bolton fort. Die Islamische Republik habe schließlich den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben und wolle dennoch heimlich Atombomben bauen.
Sowohl Indien als auch Pakistan verfügen nach eigenen Angaben über Atomwaffen und weigern sich, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen. Von den 22 indischen Atomkraftwerken sollten künftig 14 internationalen Kontrollen unterstellt werden, sagte ein US-Regierungsvertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte. Bisher werden lediglich vier Atommeiler von der IAEO überwacht. Singh übergab der US-Regierung nach eigenen Angaben eine Liste der indischen Atomanlagen. Derzeit produziert Indien mit seinem Atomprogramm 3300 Megawatt Strom, sieben Atomkraftwerke sind im Bau.
Der Nachrichtensender NDTV meldete unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen, der indischen Regierung sei es gelungen, Schnelle Brüter (ein Reaktortyp zur optimalen Umwandlung von Uranbestandteilen in Plutonium, Anm.) von ausländischer Aufsicht auszunehmen. Diese sind zwar noch in der Entwicklungsphase, werden aber in den kommenden Jahren große Mengen atomwaffenfähiges Plutonium produzieren. NDTV berichtete weiter, 14 der bestehenden 22 indischen Atomanlagen würden künftig als zivil eingestuft, die anderen acht als militärisch. Singh sagte, er müsse zunächst das Parlament informieren, bevor er Einzelheiten des Abkommens bekannt geben könne.
Die atomare Zusammenarbeit zwischen den USA und Indien dürfe die internationalen Vereinbarungen zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen nicht verletzen, erklärte der chinesische Außenamtssprecher Qin Gang. Er verwies auf die großen Anstrengungen der Weltgemeinschaft, die Effizienz der Überwachung zu erhöhen.
Der erste Besuch Bushs in Indien findet vor dem Hintergrund der wachsenden politischen und wirtschaftlichen Bedeutung des Landes mit seinen 1,1 Milliarden Einwohnern statt. Washington will Indien dabei unterstützen, zu einem Gegengewicht zu China in der Region zu werden. Indien verzeichnet nach China mit mehr als 7,5 Prozent in den vergangenen beiden Jahren das weltweit stärkste Wirtschaftswachstum. Das Wachstum zieht immer mehr ausländische Investoren auf den Subkontinent, wird allerdings durch Energieknappheit gebremst.
Bush traf am Mittwochabend in Neu-Delhi ein. Davor hatte er überraschend Afghanistan besucht. Der Indien-Besuch Bushs wurde von Demonstrationen gegen die Politik des US-Präsidenten begleitet. Mehrere tausend Menschen zogen am Donnerstag mit roten Fahnen durch die Straßen von Neu-Delhi. Ein Abgeordneter der Kommunistischen Partei, Hannan Mollah, sagte, Bush sei in Indien unerwünscht, weil er der größte Zerstörer der Humanität im 21. Jahrhundert sei. Bereits am Vortag waren rund 100.000 Muslime aus Protest gegen die US-Politik auf die Straße gegangen. Im Anschluss an seinen Besuch in Neu-Delhi wird Bush in Pakistan erwartet.