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In weniger als 80 Minuten um die Welt

&copy Jazz Fest Wien
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Von Afrika bis zur Antarktis, von Asien bis Amerika - Was kann man schon entdecken, wenn es einen in 70 Minuten um die Welt reißt? In der Hauptsache die Oberfläche, ist zu befürchten.

Jazz-Starpianist Chick Corea trat mit seinem Mozartjahr-Auftragswerk „The Continents“ am Samstagabend beim Jazz Fest Wien in der Wiener Staatsoper zum Gegenbeweis an – der ihm jedoch nicht glücken wollte. Nichtsdestotrotz Standing Ovations für die Uraufführung von Coreas zweitem Klavierkonzert, die im „Spirit Of Mozart“ stand und bei der Corea auch das Klavierkonzert Nr. 24 c-moll des Jahresregenten spielte.

Für „The Continents“ versammelte der eben 65 gewordene Pianist Musiker der Bayerischen Kammerphilharmonie in der typischen Mozart-Besetzung und verstärkte den Klangkörper durch drei Jazzmusiker: Marcus Gilmore, der Enkelsohn von Roy Haynes, am Schlagzeug, Tim Garland an Bassklarinette, Flöte und Saxofon, sowie der in New York ansässige gebürtige Österreicher Hans Glawischnig am Bass. Und schon beim Auftakt in „Africa“ zeigte sich: Ungleich kreativer als die sagen wir mal nicht gerade übermäßig viel Gehirnschmalz benötigende Idee, die sechs Teile des Musikstücks nach den Kontinenten zu benennen, war der Entschluss, das Werk als Klavierkonzert anzupreisen.

Denn das von Chick Corea eigens zusammengestellte Orchester hatte eigentlich die besten Zuschauer-Plätze: Mal Linien von Klavier oder Bass nachzuzeichnen, mal ein bisschen Streicher-Unterfutter, da ein Schmeichelakkord, dort eine knackige Spitze – allzu viel zu tun hatten die Musiker wahrlich nicht. Und was sie taten, hatte überwiegend keine musikalische Notwendigkeit oder Eigenständigkeit, und hätte oft ebenso gut fehlen können. Coreas Einsatz des Klangkörpers hatte weniger mit einem Klavierkonzert zu tun als mit der Tradition von diversen Jazzkonzerten mit Orchester. Die Spannung, die diese Konfrontation ausmacht, fehlte jedoch großflächig.

Im Zentrum stand klar das Quartett, und dort passierte schon Aufregenderes. Wo sich der Spirit of Mozart und Chick Coreas Geist treffen, ist in der musikalischen Feinarbeit, im bedeutungshinterlegten Notenregen. Der prasselte auf die verschiedenen Kontinente auch distinkt herunter: In Europa beschwor Corea den Mix der Kulturen mit kontinuierlichen Wechseln in Gestus und Stil, Filmmusik-Unterhaltsamkeit leitete nach Amerika über, und weil Australien so weit weg und friedlich ist, war der entsprechende Teil ruhig und, äh, friedlich.

Dass das Ganze bei aller Abwechslung und den guten Soli der Jazzer eine gewisse emotionale Kühle hat, ist bei Corea nichts Neues. Dessen Stärke liegt weniger in der Ausnotierung von Orchesterstimmen als im Spielen selbst, wo das musikalische Umfeld Nebensache bleibt. So wie Mozart der ganzen Welt gehört (das Credo zumindest des Mozartjahres), fand Corea am Globus daher vor allem eines: Sich selbst. Ein Amerikaner auf Reisen eben.

Beim Mozart-Klavierkonzert zuvor wurde die Größe am Klavier von den Schwächen in der orchestralen Umsetzung ausgewogen. Der schwammige, konturlose Orchester-Klang und der völlig vermisste Interpretationsansatz der Musik abseits des Klaviers zeigten, dass Dirigenten trotz Coreas großherzigem Verzicht kein Luxus sind und dass ein hervorragender Pianist noch kein Klavierkonzert ausmacht. Das Orchester mühte sich redlich, war aber ungeführt auf verlorenem Posten.

Mozart den Jazz einzuhauchen ist gerade im Jubeljahr natürlich berechtigt, und Coreas perlende Läufe und akzentuierte Basslinien, sein freier Gestus auch im Festgeschriebenen waren von höchstem Niveau und von derjenigen Eigenständigkeit, wie man es von Coreas Mozart-Annäherungen erwartete. Doch Mozart verlangt nicht nur das, sondern vor allem auch Grundlegendes, ein Fundament, auf dem die Spritzigkeit des Musikgeistes ruhen kann. Und das fehlte völlig.

Corea selbst zeigte sich als sympathischer und gern willkommener Dauergast beim Jazz Fest Wien. Befreiend für viele Konzertgänger war seine ungekünstelte Freude, als das Publikum nach dem ersten Satz des Mozart-Klavierkonzerts applaudierte und das mühsame Stillhaltedogma des Hochkultur-Konzertbetriebs ignorierte. Und der Amerikaner verbockte auch einen Scherz, den er bei der Pressepräsentation des Konzertvorhabens vergangene Woche schon mit Erfolg geübt hatte: In der Antarktis gebe es nur „Pelikane und Wissenschafter“, kalauerte er. Dass es eigentlich Pinguine sind, wusste er zumindest beim Komponieren, denn durch den Antarktis-Teil watscheln ganz schön viele davon in plakativer Lautmalerei. Die Wissenschafter waren jedoch nicht auszumachen.

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