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ImPulsTanz: Bewegung gegen den Fleiß

&copy ImPulsTanz
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"Gestern ging es mir echt beschissen". Ein Teilnehmer des Coaching Projekts „Stand up - 15 Minuten für jeden“ im Rahmen des Wiener ImPulsTanz-Festivals kämpft bei der Feedbackrunde mit seinen Emotionen.

Am Vortag hat er seine 15-minütige „Stand up“-Performance vorgeführt, das Ergebnis einer Schreibaufgabe mit dem Thema „I remember“. Darin beschäftigen sich die rund 20 teilnehmenden Profi-Tänzer und Choreografen eine Woche lang mit versteckten Sehnsüchten und Begehren hinter ihrem Wunsch Tänzer zu werden. „Wenn die ersehnte Realität zur harten Alltagsrealität wird, bleiben diese Wünsche oft auf der Strecke“, weiß Workshop-Leiterin und Performance-Künstlerin Barbara Kraus aus eigener Erfahrung.

Sie stößt sich vor allem an der Konformität, die während der Ausbildung von vielen jungen Künstlern verlangt wird: „Bei der Ausbildung geht es um Perfektion, Schönheit und Weichheit. Das ist auch eine Form der Indoktrinierung des Körpers, da sich mein Körper oft auch eckig und rau anfühlt.“ Deswegen war es ihr wichtig, mit ihrem Workshop einen Raum zu öffnen, bei dem die Teilnehmer ihre ursprüngliche Motivation, Tänzer oder Choreograf zu werden, erforschen können, ohne dabei Erwartungen erfüllen zu müssen:

„Natürlich muss die Kunst oft Ansprüchen genügen. Ich glaube aber gleichzeitig, dass Kunst dazu da ist, genau diese Ansprüche zu hinterfragen.“

Da die Gruppe vom Vortag sichtlich mitgenommen scheint, vergeht der Vormittag mit Meditation und gegenseitiger Massage, um die Reise in die eigene Vergangenheit erst einmal zu verdauen und einen Zugang zum eigenen Körper zu finden: „Für mich hat Kunst nichts mit der Perfektion einer Fertigkeit zu tun, sondern mit der Verbindung zu sich selber“, so Kraus. Einige Teilnehmer haben in der Nacht über ihre Einstellung zu ihrem Beruf nachgedacht und müssen ihre Emotionen erst einordnen. Kraus will den jungen Tänzern helfen, damit zurecht zu kommen: „Durch die Ideologisierung des Körpers ist er zu menschlichem Material geworden. Dieser Beruf ist ein beinharter Markt. Ich versuche zu vermitteln: Jede Geschichte ist es wert gehört zu werden.“

Erst kürzlich bei ihrem ImPulsTanz-Projekt „Fuck all that shit“ machte Kraus schmerzliche Erfahrungen: „Ich habe den gesamten Raum für das Publikum geöffnet, und ich war schockiert, wie einige das als Freibrief missbraucht haben, den Respekt vor den Darstellern zu verlieren“, erzählt sie erbost über Zuschauer, die Darsteller mit Bananenschalen bewarfen oder weibliche Akteure bedrängten. Genau um solche Grenzüberschreitungen zu verhindern, sollen die Workshopteilnehmer über ihre Gefühle und Ängste, wenn sie vor Publikum tanzen, sprechen: „Es geht ganz stark um das Teilen der eigenen Geschichte mit den anderen.“

Nach der Mittagspause dröhnt laute Rockmusik aus der Probebühne des Burgtheaters, dem Schauplatz des Workshops. Die Teilnehmer, die aus Kanada über Amerika bis hin zum Iran stammen, tanzen wild durch den Raum. Nach dem ruhigen Vormittag folgt jetzt ein Block mit einer Übung, die sich „Authentic Movement“ nennt. Bewegung mit geschlossenen Augen und das gegenseitige Beobachten stehen dabei im Vordergrund. Dann folgt eine fünfminütige Schreibübung nach dem Prinzip des „Automatic Writing“, die auch in die Stand up Performance der Tänzer einfließt.

Ein amerikanischer Choreograf zeigt sich begeistert: „Man kann hier nichts falsch machen. Wir spielen für uns.“ Viele junge Tänzer verlieren während der Ausbildung den Zugang zu ihrem Beruf. Kraus weis Ähnliches über ihr Studium in Amsterdam zu berichten: „Ich habe gern auf Konzerten getanzt. Auf der Uni ging der Spaß verloren weil ich für die gestellten Ansprüche einfach nicht gut genug war.“

Genau solche Erfahrungen während und nach der Ausbildung stehen dann auch zum Schluss des Tages in den „Stand up“-Performances von vier Teilnehmern im Vordergrund. Sie erzählen von ihrer Motivation Tänzer zu werden, von zerplatzten Träumen, aber auch amüsante Anekdoten rund um Training, Auditions und Aufnahmeprüfungen. „Ich habe zu tanzen begonnen, weil ich nicht reden wollte“, sagt eine Frau. Hier hat sie Gleichgesinnte gefunden, um ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen.

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