In Oberösterreich wurden gleich drei mutmaßliche schwarze Schafe gestellt, sie sollen im Stiftsgymnasium Kremsmünster in den 80er Jahren Schüler geschlagen und sexuell missbraucht haben. Ordensvertreter entschuldigten sich, die Beschuldigten sind bereits ihres Amtes enthoben. Trotzdem bleibt der Run auf die kirchlichen Stellen ungebrochen, die Kirche fürchtet nun einen weiteren Mitgliederschwund.
Einer der mittlerweile 75-jährigen Mitbrüder in Kremsmünster habe den ihm vorgeworfenen Übergriff bestätigt, gab Abt Ambros Ebhart Donnerstagnachmittag in einer eilig einberufenen Pressekonferenz bekannt. Insgesamt fünf Personen, die in den 80er Jahren Opfer von Missbrauch geworden sein sollen, hätten sich gemeldet. Ebhart betonte, dass man Interesse an einer umfassenden Aufarbeitung habe. Eines von fünf Opfern, die sich gemeldet haben, hatte gegenüber den “Oberösterreichischen Nachrichten” (OÖN) gewalttätige Erziehungspraktiken sowie damit verbundene sexuelle Übergriffe im Benediktinerstift beschrieben.
“Es ist so passiert”, zitierte Abt Ebhart aus dem Gespräch mit einem der Patres. Dieser soll den Kopf eines Schülers, der sich neben ihm hingekniet habe, gerieben und und fest in seinen Schoß gedrückt haben. “Ich bedauere, dass Menschen solche Leiderfahrungen in unseren Einrichtungen gemacht haben”, so der Abt. Das Stift habe ein Interesse daran, dass alle Fälle aufgearbeitet werden, und sei froh um jede Hilfe von staatlichen und diözesanen Stellen.
Auch im Internat des Privatgymnasiums des Bregenzer Zisterzienser-Klosters Mehrerau könnte es offenbar noch weit mehr als die in den vergangenen Tagen öffentlich bekanntgewordenen Missbrauchsfälle gegeben haben. Ein ehemaliger Schüler schilderte in einem Interview den Missbrauch mehrerer seiner Mitschüler und ging auch auf die Rolle des damaligen Abts Kassian Lauterer ein: “Dieser hat – man muss fast sagen – uns befohlen, darüber den Eltern ja kein Wort zu sagen”.
Die Österreichische Superiorenkonferenz und die Vereinigung der Österreichischen Frauenorden wandten sich noch am selben Tag mit der Bitte um Verzeihung an die Öffentlichkeit: “Als Vorsitzende der Frauen- und Männerorden Österreichs bitten auch wir die Opfer um Entschuldigung”, hieß es in einer schriftlichen Erklärung. “Betroffen” zeigte man sich über das Ausmaß sexueller Übergriffe in Stiften, Klöstern und Ordenseinrichtungen. “Das erfüllt uns mit Bestürzung und Scham.” Die Ordensvertreter kündigten Verbesserungen im Umgang mit den Tätern und bei der Auswahl von Anwärtern an.
Unterdessen meldeten sich nicht nur weitere angebliche Opfer sexueller Übergriffe bei den zuständigen Ombudsstellen in den Diözesen, auch die Telefone bei den Kirchenbeitragsstellen liefen heiß. Mitglieder machten nicht nur ihrem Unmut Luft, auch die Austritte, die im vergangenen Jahr Rekordniveau erreicht hatten, werden befürchtet. Die Erzdiözese Wien vermeldete zwölf mögliche neue Missbrauchsfälle, die allesamt in der vergangenen Woche bei der Ombudsstelle gemeldet wurden.
Die meisten Diözesen betonten, dass es sich oft nicht um sexuellen Missbrauch, wohl aber um gewalttätige Übergriffe handeln würde, die den Ombudsstellen nun vermehrt gemeldet werden. Viele davon würden Jahrzehnte zurückliegen. Aufgrund des Ansturms kündigte die Erzdiözese Salzburg sogar an, ihre Ombudsstelle zu erweitern. Auch dort fürchtet man einen deutlichen Anstieg bei den Austritten. In Zahlen bereits spürbar wird die Missbrauchswelle in den Austritten der Diözese Feldkirch. Im Jänner 2010 kehrten dort knapp 350 Personen der Kirche den Rücken, mehr als doppelt so viele wie 2009.
Auch eine politische Debatte entbrannte angesichts der Missbrauchsfälle. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim forderte unter anderem eine Verlängerung der Verjährungsfristen sowie eine Verdoppelung des Strafrahmens. Weiters drohte er der Kirche mit einer “gesetzlichen Anzeigepflicht”, falls sie ihre Kenntnisse von sexuellem Missbrauch weiterhin geheim halte. Für die Opfer will Jarolim einen Entschädigungsfonds, aus dem 50.000 bis 70.000 Euro als Schmerzensgeld und für Behandlungskosten bezahlt werden können.
Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (S) kann sich sogar einen Wegfall der Verjährungsfristen vorstellen. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (V) erklärte, sie sei bereit, eine Anzeigenpflicht bei Sexualdelikten zu diskutieren. Sie habe allerdings “keine konkreten Pläne und keinen Grund, jetzt aktiv zu werden”, sei aber “offen” und beobachte die internationale Debatte. Über eine Anzeigenpflicht bei Sexualdelikten könne man diskutieren.
Zurückhaltend geben sich die Grünen: Über Verjährungsfristen könne man grundsätzlich diskutieren, meinte Justizsprecher Albert Steinhauser, er warnte aber vor “Schnellschüssen”. Einen Runden Tisch forderte BZÖ-Chef Josef Bucher, Bandion-Ortner solle sofort dazu einladen. Die FPÖ, die auch für eine Verlängerung der Verjährungsfristen ist, nutzte die Diskussion am Donnerstag für Wahlkampftöne in Sachen Bundespräsident: Man vermisse eine “klare und unmissverständliche Verurteilung” der Fälle durch Bundespräsident Heinz Fischer.