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Im Hospital der vergessenen Seelen

Vor 35 Jahren bot die Anstalt die beklemmende Kulisse für einen Film, der Filmgeschichte schrieb.
Wenn Fiktion und Geschichte verschwimmen: Die Psychiatrie von Salem

Auf dem Gelände der Psychiatrie von Salem im Bundesstaat Oregon im Nordwesten der USA drehte Regisseur Milos Forman seinen Film “Einer flog über das Kuckucksnest”, der den Horror psychiatrischer Verwahranstalten zeigt. Das Krankenhaus gibt es wirklich – und wie sich inzwischen gezeigt hat, ist auch der Horror echt. In dem heruntergekommenen Komplex wurden Urnen mit den Überresten tausender Patienten gefunden. Die Behörden mühen sich, Angehörige zu finden.

Über Jahrzehnte barg die Anstalt ein gruseliges Geheimnis, den “Raum der vergessenen Seelen”. Durch Zufall öffnete eine Gruppe von Besuchern im Jahr 2004 die Tür zu einem Raum in einem baufälligen Nebengebäude – und stieß dort auf mehr als 3.500 Metallgefäße. Ihr Inhalt: Asche. Sie stammte von der Kremierung verstorbener Patienten. Die Todesfälle erstreckten sich vom Jahr 1914 bis in die 70er Jahre. Manche Urnen waren beschriftet, andere hatten ihr Etikett verloren. In manchen war die Asche mehrerer Verstorbener aufbewahrt.

Der Raum war offenbar drei Jahrzehnte lang völlig vergessen worden. Langsam begann die Aufarbeitung. Der Bundesstaat Oregon hat kürzlich eine Liste mit den Namen von 3.500 Menschen im Internet veröffentlicht, deren Überreste in dem Raum gefunden worden waren (www.oregon.gov/DHS/mentalhealth/osh/cremains.shtml). “Wir wollen die Überreste den Familien zuführen, aber angesichts der langen Zeit dürfte das nicht immer möglich sein”, sagt der Direktor von Oregons Krankenhausverwaltung, Greg Roberts.

Die wenigsten Urnen konnten bisher zugeordnet werden. Der 79 Jahre alte Don Whetsell aus Portland zählt zu den wenigen, die ihre Angehörigen würdig bestatten konnten. Sein Bruder und sein Großvater starben in der Anstalt. Whetsells Bruder war neun Jahre alt, als er eingeliefert wurde. Er starb zwei Jahre später. “Er hatte Epilepsie mit schrecklichen Anfällen”, erinnert sich der Pensionist. “Heute könnte man das behandeln.” Auch sein Großvater starb nach zwei Jahren in der Anstalt. “Sie haben meine Großvater für schwachsinnig erklärt. Wahrscheinlich war es aber nur Alzheimer.”

Zu Hause sei das Thema praktisch tabu gewesen, erinnert sich Whetsell. “Die Eltern haben nicht viel darüber geredet, es war einfach zu traumatisch.” 2005 begann er damit, dem Schicksal seiner Verwandten nachzuforschen. Vier Jahre später hielt er ihre Urnen in der Hand. Den Großvater hat er bereits auf einem Familiengrundstück beigesetzt, den Bruder will er im Sommer bestatten.

In Milos Formans Film war das Krankenhaus die Kulisse für den von Jack Nicholson gespielten Randle Patrick McMurphy, der mit seiner Rebellion gegen die Anstaltsleitung die Frage aufwarf, wer nun eigentlich wirklich wahnsinnig ist. Die Realität sah wenig anders aus: In den 70er Jahren war das im 19. Jahrhundert erbaute Krankenhaus bereits stark heruntergekommen. Bis 2008 war es zu 40 Prozent nicht mehr nutzbar, die Farbe blätterte, Ratten hatten sich festgesetzt, Asbest rieselte von den Decken. Gegen Mitarbeiter wurde der Vorwurf sexuellen Missbrauchs erhoben, jedes Jahr wurden knapp 400 Fälle von Handgreiflichkeiten unter Patienten gezählt.

Im Jahr 2007 änderte der Bundesstaat Oregon eigens das Datenschutzgesetz für Krankenhäuser, damit suchende Angehörige Zugang zu den Krankenhausakten von Salem erhalten. “Wir haben inzwischen nur noch vier nicht identifizierte Urnen”, sagt Rebeka Gipson-King von der Krankenhausverwaltung. “Etwa 120 Urnen haben wir bei Hinterbliebenen unterbringen können.” Für die meisten hätten sich aber noch keine Hinterbliebenen gemeldet. “Die nicht abgeholten Überreste werden Teil eines Mahnmals sein, das wir auf dem Gelände errichten wollen”, sagt Gipson-King.

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