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I am Love

Familiendrama als wohl elegantester Film des Jahres: Tilda Swinton bricht als italienische Industriellengattin aus ihrem kalten Käfig aus - Ab 11. Februar im Kino.
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Erstarrte Beziehungen in erkaltetem Luxus: Am 11. Februar kommt mit “I am Love” der vermutlich eleganteste Film des Jahres in die heimischen Kinos. In einem ästhetischen Bravourstück zeichnet Regisseur Luca Guadagnino den Ausbruch der Mailänder Industriellengattin Emma Recchi (Tilda Swinton) aus dem Korsett der semiaristokratischen Familienstruktur in die sinnlichen Arme des Kochs Antonio Biscaglia (Edoardo Gabbriellini) nach. Zugleich gelingt ihm mit einem grandiosen Ensemble ein umfassendes Familienporträt griechischen Zuschnitts. Über das – oftmals gute – Niveau italienischer Familiendramen hinaus hebt das Werk allerdings die Musik des Minimalisten John Adams und vor allem die überwältigende Kameraführung von Yorick Le Saux, der schon bei zahlreichen Filmen Francois Ozons für die Aufnahmen verantwortlich zeichnete.

Emma ist mit dem Oberhaupt des Mailänder Recchi-Clans verheiratet, lebt das berühmte Leben im Goldenen Käfig, nachdem ihr Mann sie einst aus Russland mit nach Italien nahm. In der Modedynastie selbst steht der Wechsel vom Patriarchen (Gabriele Ferzetti) zur nächsten Generation an, die das Imperium umgehend veräußert. Hier steht “I am Love” in der Tradition italienischer Familienfilme, in denen man an langen Tafeln unter dem Auge des Patriarchen zusammenkommt. Emma wiederum findet nicht zuletzt über den Umweg der Kochkünste in die Arme und zwischen die Beine des Küchenchefs Antonio, einem Freund ihres Sohnes, mit dem sie in seinem Garten die Leidenschaft wiederentdeckt. Ihr Sohn kommt bei der Entdeckung dieser Affäre bei einem Unfall zu Tode, worauf Emma eine Entscheidung über ihre Zukunft treffen muss.

Meisterhaft zeigt Guadagnino die Entwicklung seiner Charaktere in mächtigen Bildern. Der Auftakt präsentiert noch ein monumentales, kaltes, verschneites Mailand samt der dazugehörigen Familienvilla. In teils symmetrischen Einstellungen, teils aus der Vogelperspektive, teils in langen Totalen, teils in schnellen Standortwechseln umkreisen Regisseur und Kameramann ihren Raum, loten dessen Tiefe, Verlassenheit aus. Zugleich widersteht die Kamera in dieser ersten Phase der Versuchung, sich zu nahe an die einzelnen Figuren zu begeben, sondern zeigt deren Beziehungen zueinander.

Im Zentrum steht dabei Emma, verkörpert von der fließend Italienisch sprechenden Swinton in der ihr eigenen Mischung aus Fragilität und Stärke. Wenn sie die Nachricht verarbeitet, dass ihre Tochter lesbisch ist, zieht sie sich auf den Mailänder Dom zurück – ohne, dass der Bau je in seiner Gesamtheit gezeigt würde. Der Raum wird stattdessen in eine Ansammlung himmelsstrebender Heiligenfiguren fragmentiert. Kameramann Le Saux setzt dabei das gesamte Instrumentarium seiner Zunft ein, verzichtet weder auf Kamerafahrten und Zooms, noch auf die zunehmend seltener verwendeten Totalen – ohne dass “I am Love” je an Stringenz und Geschlossenheit verlöre.

Je sensorischer Emma durch die sinnlichen Einflüsse des Kochs wird, desto intimer rückt die Kamera an die Figuren heran, geht auf Tuchfühlung. Der erste Kuss der Liebenden findet außerhalb des Fokus statt – subtile Stilbrüche und -mittel, um vom gewohnten Sehen abzuweichen. Selbst die extremen Detailaufnahmen von Blumen und Insekten während des Liebesakts schaffen es in “I am Love”, vor der Grenze zum Klischee noch gerade abzubiegen. Auch der Einsatz der Adams-Musik aus verschiedenen Werken gibt den Bildern Größe, vermeidet Schmalz. Ein großer Film über ein großes Thema.

www.iamlovemovie.com

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