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Husseins Verbrechen dokumentiert

Die „Vereinigung befreiter Gefangener" zählt zu den vielen Opfer- und Hinterbliebenenverbänden, die seit dem Sturz von Machthaber Hussein im Irak aus dem Boden gesprossen sind.

Die Akten stapeln sich überall. Auf den Regalen, auf den Tischen, auf dem Boden, von Zeltplanen geschützt draußen im Freien. Angetreten sind sie, um das tausendfache Leid aufzuarbeiten, das die Funktionäre der Baath-Partei, von Geheimdienst, Polizei und Armee der Bevölkerung zufügten.

Für diese Aufgabe werden sie wohl 20 Jahre brauchen, meint die Beschäftigte eines Opferverbandes: „Aber es geht um Geschichte, die wir nicht vergessen dürfen.” Hajtham Ahmed sitzt vor einem der wenigen Computer, über die die Gefangenenorganisation verfügt. Über ihm prangt die Parole „Keine Stabilität für Irak, solange die Kriminellen des Regimes nicht gerichtet sind”.

Links an seiner Seite warten mehrere Frauen, rechts stehen die Männer Schlange. Viele von ihnen haben eine Todesurkunde in den Händen, andere suchen Hinweise nach dem Verbleib ihrer Angehörigen. „Wir speichern jeden Tag eintausend Namen in unseren Rechnern. In acht Monaten werden wir etwa 200.000 Fälle Verschwundener und Getöteter haben”, sagt Hajtham. Dann zeigt er die Tabelle: „Datum der Verhaftung”, „Datum der Exekution”, „Grund für Exekution” steht im Kopf.

„Wir arbeiten mit den Dokumenten der Angehörigen und mit tausenden Akten, die wir nach dem Fall des Regimes in den Büros des Geheimdienstes, der Ministerien und bei der Polizei fanden”, erklärt der Chef der Vereinigung, Ibrahim el Idrissi. Einige Ecken weiter, im Bagdader Schiitenviertel Kasimija, scheinen die Mitarbeiter des „Internationalen Komitees der Gefangenen und Verschwundenen” unter den Aktenbergen förmlich vergraben.

Aus den Dokumenten ragen vergilbte Fotos der Opfer hervor. Ihre angeblichen Verbrechen sind in den Akten pedantisch eingetragen. Einer verschwand, weil er angeblich „Spion im Auftrag Irans” war, ein anderer hatte es gewagt, in die verbotene Kommunistische Partei einzutreten.

Mangels Computern kommen die verschiedenen Organisationen mit der Dokumentation der Blutspur der früheren Führung kaum nach. Etwa 6000 Akten liegen bei der „Liga der politischen Gefangenen”, die „Menschenrechtsvereinigung für Saddam Husseins Opfer” hat 25.000 Fälle gesammelt.

Es handelt sich um wertvolle Beweise, die das vom irakischen Regierungsrat eingesetzte Sondertribunal gut gebrauchen kann. Bis zu sechs Monate würden die Ermittlungen zu Saddam Hussein dauern, sagt das Mitglied des Regierungsrats Dara Nurredin. Es müssten „tonnenweise” Dokumente gesichtet und Beweise gesammelt werden.

Die unabhängigen Opferverbände wollen ihren Teil dazu beitragen, dass der verhasste frühere Präsident seine verdiente Strafe bekommt. „Saddam Hussein ist für den Tod von Millionen von Menschen verantwortlich, und wir haben Dokumente, die seine Schuld beweisen”, sagt Idrissi. Sein schiitischer Kollege Auwadi zeigt einen Sack, bis zum Rand mit Mikrofilmen gefüllt. „Wir haben tausende davon, und glauben Sie mir, einige der darin gespeicherten Todesurteile tragen die Unterschrift von Saddam Hussein.”

Dann schweigt er für einen Moment, um schließlich von neuem anzusetzen: „Ich habe Stimmen gehört, die Mitleid für Saddam verlangen. Aber wo waren diese Stimmen, als er Kinder tötete und die Massengräber füllte?”

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