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Hussein könnte viel Zeit gewinnen

Noch vor wenigen Tagen hatte US-Präsident George W. Bush klargemacht, dass er Saddam Hussein keine lange Schonfrist gewähren will. Hussein könnte zuviel Zeit gewinnen.

Er spreche von „Tagen und Wochen, nicht Monaten und Jahren“, die dem irakischen Herrscher blieben, um die Forderungen der UNO zu erfüllen, so der US-Präsident. Doch mit seinem überraschenden Entschluss, die UNO-Waffeninspektoren wieder ins Land zu lassen, scheint Saddam Hussein genau das zu gewinnen, was ihm der Feind in Washington verwehren will: Zeit. Ein US-Angriff auf den Irak könnte durch den Schachzug Bagdads möglicherweise in die Ferne rücken.

Schon die ersten Reaktionen der übrigen ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats am Dienstag zeigten, dass die USA ihre harte Linie gegen den Irak in der UNO nun noch viel schwerer werden durchsetzen können. Zwar beharrte US-Außenminister Colin Powell darauf, dass der Sicherheitsrat nach wie vor eine neue Irak-Resolution erarbeiten müsse. In dem Beschluss soll Bagdad nach Willen der USA aufgefordert werden, binnen einer kurzer Frist auf alle Massenvernichtungswaffen zu verzichten; andernfalls soll die Ermächtigung zu Strafmaßnahmen, inklusive militärischer Gewalt, erteilt werden. Doch es ist ungewiss, ob nach dem irakischen Einlenken eine neue Resolution überhaupt noch zustande kommt – und wenn ja, ob sie so scharf ausfallen wird, wie von Washington angestrebt.

Unter den übrigen vier ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats können sich die USA allein auf die Briten verlassen, die den Brief aus Bagdad ebenfalls „mit großer Skepsis“ betrachten. Dagegen plädierte Frankreich dafür, die irakische Regierung „beim Wort“ zu nehmen und rasch mit den Inspektionen zu beginnen. Auf besonders deutliche Distanz zur Linie der USA gingen jedoch China und Russland. Bagdads Einlenken sei das, „was die internationale Gemeinschaft stets zu sehen gehofft hatte“, jubelte Peking. Und der russische Außenminister Igor Iwanow sagte gar, das Kriegsszenario sei abgewendet, jetzt könne die Krise „mit politischen Mitteln“ beigelegt werden.

Bush dürfte diese Erklärungen mit Zähneknirschen zur Kenntnis genommen haben. Von Saddam Hussein ausgetrickst zu werden, muss für ihn besonders bitter sein: Der irakische Machthaber bescherte Bush einen Erfolg, den dieser gar nicht wollte – und der deshalb in Wahrheit eine Niederlage ist. Denn mit seinem Brief hat es der Saddam Hussein dem amerikanischen Feind auch erschwert, den Sicherheitsrat unter Druck zu setzen. So ließen die Russen etwa wissen, dass sie sich erst am Donnerstag im Rat wieder mit dem Irak befassen wollen. Und Iwanow erklärte auch, dass er eine neue Resolution für überflüssig hält.

Völlig unklar blieb zunächst, ob Bagdad aber bereit ist, den Inspektoren unangekündigte Kontrollbesuche zu erlauben. Auch ließ die irakische Regierung unbeantwortet, ob sie den Inspektoren den Zugang zu den mehr als 50 Palästen Saddam Husseins erlauben. Hardliner in der US-Regierung wie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney hatten die Inspektionen zwar schon vor Wochen als Zeitverschwendung verworfen, da Saddam Hussein genug Möglichkeiten habe, Waffen zu verstecken. Doch nachdem sich Bush durchrang, den Weg in den Sicherheitsrat einzuschlagen, um seinen Irak-Kurs international abzusichern, gibt es für ihn kaum einen Weg zurück: Einen neuen Versuch mit den Inspektoren muss er zulassen, will er seine außenpolitische Glaubwürdigkeit nicht verspielen.

Dies könnte allerdings bedeuten, dass Saddam Hussein viel Zeit gewinnt. Denn nach der Sicherheitsratsresolution 1284 von 1999 haben die Inspektoren nach Einreise im Irak erstmal sechs Wochen Zeit, einen Arbeitsplan zu verfassen. Und danach weitere sechs Monate für einen ersten Bericht über das irakische Waffenprogramm. Die USA dürften Schwierigkeiten haben, einen rigideren Zeitrahmen für die Inspektoren durchzusetzen. Bleibt es aber bei den bisherigen Zeitvorgaben, könnte sich ein möglicher Krieg gegen den Irak nach Angaben von Militärexperten bis Herbst nächsten Jahres verschieben – wegen der extremen Sommerhitze können die US-Soldaten zwischen April und Oktober ihre Schutzanzüge gegen biologische und chemische Waffen nicht überziehen.

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