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"House of Kurz": "Politico" zeigt, wie das türkise Kartenhaus zerfällt

Dieses Cover wird sich der Bundeskanzler wohl nicht daheim aufhängen.
Dieses Cover wird sich der Bundeskanzler wohl nicht daheim aufhängen. ©REUTERS/Lisi Niesner
Bundesklanzler Kurz schaffte es am Donnerstag auf das Cover des internationalen Polit-Magazins "Politico". Der europäische Ableger des US-Magazins zeichnet allerdings - ähnlich wie die Schweizer NZZ - ein schlechtes Bild des türkisen Kanzlers.

Die innenpolitischen Turbulenzen in Österreich und das Image von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) waren am Donnerstag Thema in internationalen Medien. Der europäische Ableger der US-Wochenzeitung "Politico" hob Kurz unter dem Titel "House of Kurz" - in Anspielung auf die bekannte US-Serie "House of Cards" - aufs Cover der aktuellen Ausgabe. Die bürgerlich-liberale Schweizer "Neuen Zürcher Zeitung" (Internationale Ausgabe) titelte am Donnerstag: "Das 'Team Kurz' kriselt".

"Politico" (Brüssel):

"House of Kurz. Eine umfassende Korruptionsuntersuchung hat das frische Image des österreichischen Regierungschefs zerstört. Sebastian Kurz, ein politisches Wunderkind, das mit nur 31 Jahren Österreichs Leader wurde, kam an die Macht, indem er ein jugendliches, gutmütiges Image pflegte, das ihn bei Jung und Alt gleichermaßen beliebt machte. Und dann mutierte er zum Schurken. Ein Cache mit privaten Textnachrichten (...) zeigt Kurz nicht als den wohlerzogenen "Lieblingsschwiegersohn der Nation", der das Herz seiner Landsleute und eines Großteils der EU eroberte, sondern eher als klugen Operator hinter den Kulissen, der bereit ist, alles zu tun, um seine Agenda durchzusetzen (...). Solche Taktiken sind in politischen Kreisen kaum überraschend, auch wenn sie an einen schlechten Mafia-Film erinnern. Aber Kurz (...) versprach nicht nur, die Politik des Landes zu revolutionieren: Er überzeugte die Österreicher, dass er es ernst meinte. Und sie haben es ihm abgekauft.

Kurz hat (....) in Regierung, Privatsektor und Medien ein von Kritikern als "House of Kurz" bezeichnetes, engmaschiges Netzwerk von Loyalisten errichtet, die stillschweigend zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeiten. Kurz' Metamorphose mag wie eine vertraute politische Geschichte über das Erwachsenwerden klingen, aber zu einer Zeit, in der ein Teil Mitteleuropas in eine Form des sanften Autoritarismus gerutscht ist, deuten Kurz' Transformation und der große Korruptionsskandal in der politische Klasse Österreichs darauf hin, dass sich die Erosion von Demokratie und Normen in der Region nach Westeuropa auszubreiten droht. Dies wäre ein erheblicher Rückschlag für die Europäische Union, die bereits Schwierigkeiten hat, mit widerspenstigen Regierungen in Ungarn und Polen umzugehen (...). Wie die Führer dieser Länder hat sich Kurz nicht gescheut, die EU anzugreifen, um von seinen inneren Sorgen abzuweichen. (...)

Es ist noch nicht lange her, dass viele in Brüssel Kurz nicht als Bedrohung, sondern als konservative Zukunft Europas betrachteten. Europas Mitte-Rechts-Partei, der dominierende politische Block im Europäischen Parlament, war begeistert von dem dreisten jungen Österreicher, dessen harte Haltung zur Migration von vielen als Vorbild für konservative Parteien auf dem gesamten Kontinent angesehen wurde. Besonders beliebt war er in Deutschland, wo Kurz die Medien, insbesondere die einflussreiche Bild-Boulevardzeitung, umwarb. Einige sahen in Kurz sogar den Fahnenträger für die Post-Merkel-Ära. Nun nicht mehr.

Neue Zürcher Zeitung (Internationale Ausgabe):

"Das 'Team Kurz' kriselt. In Österreich belasten unselige Praktiken der Regierungspartei ÖVP und das Corona-Management die Koalition. Chats zwischen Spitzenfunktionären zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Bild vom Umfeld des Bundeskanzlers und belasten die Koalition. Nach einem Jahr Corona hat das Vertrauen der Österreicher stark gelitten. Mit dem Versprechen der Erneuerung hat Sebastian Kurz 2017 die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) übernommen. (...) Erneuerung bedingt Flexibilität und politisches Geschick. Über beides verfügt der 34-Jährige zweifellos. Weniger klar war stets, wofür Kurz steht, wobei er und seine Vertrauten das inhaltliche Vakuum durch geschickte Kommunikation kompensierten.

Auch dies macht ihn zu einem modernen Politiker, dessen "Team Kurz" eingängige Botschaften über soziale Netzwerke und den Boulevard an das vorwiegend bürgerlich-konservative Publikum bringt. Doch jüngst ist die Maschine arg ins Stottern gekommen, und dies nicht nur wegen der Pandemie: Eine Affäre um "Freunderlwirtschaft" verdeutlicht den Kontrast zwischen öffentlicher Selbstdarstellung und Realpolitik in der ÖVP.

Doch die Corona-Improvisation trifft einen Politiker, dessen Erfolg so stark vom Macherimage und von klaren Botschaften abhängt, besonders. (...) Als Folge hat das Vertrauen in den Kanzler im letzten Jahr besonders gelitten. Auch die Umfragewerte zeigen nach unten, die Regierungsparteien verfügten heute über keine Mehrheit mehr. Paradoxerweise stabilisiert dies die Koalition eher: Bei Neuwahlen hätten beide nur zu verlieren.

(APA/Red)

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