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Holocaust-Überlebende wieder zusammen

Binjamin Shilon war überzeugt, seine Schwester im Holocaust verloren zu haben. Shoshana November hingegen glaubte, als einzige ihrer Familie die Judenverfolgung überlebt zu haben.

Jetzt halten sich Bruder und Schwester in den Armen – und feiern nach fast 60 Jahren erstmals wieder gemeinsam Hanukkah.

Die Zeit hat beide geprägt. Shilon ist mittlerweile 78, November 73 Jahre alt. Wenn der große Bruder aber seinen Kopf an die Schulter der Schwester lehnt und beide Erinnerungen austauschen, sind sie sich wieder so nahe wie in ihrer Kindheit in Polen, wo sie als Bronik und Ruja Szlamowicz aufwuchsen.

Ende der 30er Jahre wurde die Familie auseinander gerissen. Der Vater wurde von der Gestapo erschossen, die Mutter und die beiden Brüder haben die Geschwister nie wieder gesehen. Shoshana November überlebte unter Obhut von Dr. Janusz Korczak im Warschauer Getto und später bei ihrer Pflegemutter in Krakau. Einmal entging sie den Nazis nach Angaben von Verwandten, weil ein Polizist Mitleid mit ihr hatte. Einmal versteckte sie sich in einer Latrine im Getto. 1943 wurde das Mädchen nach Auschwitz gebracht. Der Gaskammer entkam November, weil ein Fremder sie aus der Reihe der Todeskandidaten wegschubste.

Shilon landete derweil als Heizer auf einem Flussschiff im sowjetisch besetzten Teil Polens. Nach einem Bombenangriff der Deutschen auf das Schiff wurde der verletzte junge Mann 1941 zur Behandlung nach Minsk gebracht. Von dort aus versuchte der 17-Jährige, nach Sibirien zu gelangen. „Ich wollte weg von den Kämpfen”, sagt Shilon. Bald musste er sich eingestehen, dass er es nicht schaffen würde. Er gab sich als Russe aus und schloss sich den Streitkräften Josef Stalins an. 1945 wurde er mit dem Auftrag, Auschwitz zu befreien, in seine Heimat Polen geschickt.

Nach dem Krieg ließen sich die Geschwister in Israel nieder:

November 1948 und Shilon knapp zehn Jahre später. Schon in den 50er Jahren begann November, über die Yad-Vashem-Behörde in Jerusalem nach möglichen Überlebenden ihrer Familie zu suchen. Shilons Formulare gingen dort erst vor wenigen Jahren ein.

Als November an diesem Freitag die Dokumente bei Yad Vashem überprüfen ließ, erfuhr sie schließlich: Ihr Bruder Shilon war am Leben und wohnte nur eine 90-minütige Autofahrt von ihr entfernt.

Noch am selben Tag erhielt Shilon einen Anruf. Novembers Enkel Nir Silberberg war am Telefon und stellte ihm drei Fragen: „Sagt Ihnen der Name ’Szlamowicz’ etwas?” fragte er. „Hatten Sie eine Schwester namens Ruja?” Und: „Wollen Sie mit ihr sprechen?” In dieser Nacht telefonierten die Geschwister zwei Mal miteinander. Am Samstag sahen sie sich nach mehr als einem halben Jahrhundert erstmals wieder. Sie erzählten sich aus ihrem Leben und zündeten zusammen Hanukkah-Kerzen an.

„Ich kann es noch immer nicht glauben”, sagt November. „Es ist sehr schwer, dieses Gefühl zu beschreiben. (…) Man kann es einfach nicht beschreiben.”

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