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Hoffnungsträger Obama wird zur Bürde

Im Wahlkampf 2008 war Barack Obama der Kandidat, der Zukunftshoffnungen und Aufbruchsstimmung verkörperte wie kein anderer.

Im Wahlkampf 2010, drei Wochen vor der Kongresswahl am 2. November, droht Obama zur Bürde für die eigene Partei zu werden. Die anhaltende Wirtschaftsflaute, politischer Dauerzank in Washington und sinkende Zustimmungsraten haben den politischen Himmelstürmer von einst in eine niedrigere Flugbahn gezwungen. Kandidaten seiner eigenen Demokratischen Partei setzen sich von Obama ab, mit dessen Amtsführung die Mehrheit der US-Bürger inzwischen unzufrieden ist.

Im gegenwärtigen Wahlkampf verzichtet Obama auf jene mitreißende Rhetorik, die ihn vor zwei Jahren zum Sieg getragen hatte. Der Präsident appelliert stattdessen an den Durchhaltewillen der Basis, er bittet um Geduld und gesteht Unzulänglichkeiten ein. “Natürlich sind die Leute frustriert, sie sind ungeduldig, weil der politische Wandel so langsam ist”, sagte Obama am Donnerstag auf einer Wahlveranstaltung in der Kleinstadt Bowie in Maryland. “Auch ich bin ungeduldig, wir haben noch viel zu tun.”

Unter der spätsommerlichen Sonne auf dem Uni-Campus in Bowie verfolgt vor allem die Demokraten-Kernklientel die Rede des Präsidenten: junge Leute, Gewerkschaftsmitglieder, Angehörige ethnischer Minderheiten. Der Enthusiasmus ist Ernüchterung gewichen: “Ich bin es allmählich Leid, immer den Präsidenten verteidigen zu müssen”, sagt Obama-Anhängerin Denise McArthur. “Wir hatten mehr erhofft”, fasst die 32-jährige Telekom-Angestellte die Stimmung zusammen. Die eigene Anhängerschaft hadert, und vielen Wählern ist Obama letztlich fremd geblieben.

Die Demoskopie liefert verblüffende Belege für die Distanz zwischen den US-Bürgern und ihrem Präsidenten. In einer Umfrage von Democracy Corps gaben 55 Prozent an, sie hielten Obama für einen “Sozialisten” – in den USA ist dieser Begriff negativ besetzt. Nur 34 Prozent sagten in einer Pew-Umfrage, sie hielten Obama für einen Christen. Weil die USA tief religiös sind, betont Obama inzwischen öfter seinen christlichen Glauben. In einer Erhebung von CNN zweifelten 27 Prozent, dass Obama überhaupt in den USA geboren ist, wie es die US-Verfassung für Präsidenten vorschreibt.

Hinter diesen Zahlen verbirgt sich das diffuse Gefühl vieler US-Wähler, der Präsident, der Sohn eines Kenianers und einer US-Bürgerin ist, sei nicht einer der Ihren. Die gegnerischen Republikaner schüren nach Kräften das Gefühl, im Weißen Haus residiere derzeit ein Fremder, der dort eigentlich nicht hingehöre. “Über diesen Präsidenten wissen wir weniger als über jeden anderen Präsidenten in unserer Geschichte”, munkelte kürzlich Haley Barbour, republikanischer Gouverneur von Mississippi und möglicher Präsidentschaftskandidat 2012.

Es ist ein politisch explosives Gebräu, mit dem Obamas Demokraten vor der Kongresswahl zu tun haben. Neben der schleppenden Konjunktur und der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit, die auch jeder anderen US-Regierung zu schaffen machen würden, kommt eben noch das, was der Politikexperte William Galston vom Washingtoner Brokings-Institut als “Obama-Faktor” bezeichnet. Obama, der rhetorisch geschliffene Intellektuelle, werde von vielen Wählern als “Vertreter der Elite” gesehen und löse damit angesichts der derzeitigen Politikverdrossenheit regelrechte Abwehrreflexe aus, sagt Galston.

Obamas Parteifreunde gehen im Wahlkampf vielerorts auf Distanz. Manche Kandidaten meiden Auftritte mit ihm. Der demokratische Abgeordnete Chet Edwards aus Texas etwa wirbt in einem TV-Spot ausdrücklich damit, dass er in Washington gegen Obamas Politik “Widerstand leistet”. Der demokratische Senatskandidat Joe Manchin aus West Virginia betonte in einem Interview mit der “New York Times”: “Der Präsident hat mich noch nie ins Weiße Haus eingeladen, wir sind keine siamesischen Zwillinge.”

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