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Hochbetagte Patientin wurde vernachlässigt

Die Direktorin, die stellvertretende Pflegedienstleiterin, eine Stationsschwester und ein Allgemeinmediziner eines Wiener Pflegeheimes mussten sich am Freitag, im Wiener Landesgericht einem Strafprozess stellen.

Ihnen wurde vorgeworfen, einer hochbetagten Patientin unnötige Qualen zugefügt zu haben, indem sie keine bzw. unzureichende Maßnahmen gegen ihre schmerzhaften Dekubitalgeschwüre in die Wege leiteten. Das Quartett bekannte sich „nicht schuldig“. Die Verhandlung wurde vertagt.

Die Patientin war 92 Jahre alt, als sie nach einem Schenkelhalsbruch in die Seniorenresidenz zurückkehrte. Sie war praktisch immobil, konnte laut Pflegebericht mit Hilfe von zwei Schwestern gerade noch eine Strecke von fünf Meter bewältigen. Sie lag daher praktisch rund um die Uhr im Bett. Als der in dem Heim tätige Allgemeinmediziner sie erstmals zu Gesicht bekam, wies sie bereits Druckgeschwüre zweiten Grades auf.

Zu wenige Pfleger

Der Arzt räumte vor Richter Kurt Wachsmann ein, die optimale Behandlung gegen einen so genannten Dekubitus wäre ein Spezialbett und viertelstündliches Wenden des Betroffenen. Das war in dem Heim schon auf Grund der Personalsituation nicht möglich: Wie die Direktorin darlegte, waren bei ihrem Dienstantritt im August 2002 zu wenige, noch dazu ausschließlich freiberufliche und extern in einem Pool zusammengefasste Pfleger tätig. Die Geschäftsleitung hätte an allen Ecken und Enden gespart, nur den Mindestlohntarif bezahlt.

Als sie von der mitangeklagten Stationsschwester von den Dekubitalgeschwüren der 92-Jährigen erfuhr, habe sie um eine so genannte Antidekubital-Matratze angesucht, berichtete die Direktorin. Das habe die Geschäftsleitung abgelehnt: „Es war die Philosophie des Hauses, dass so eine Matratze auf Kosten der Angehörigen geht.“ Die konnten sich das aber nicht leisten.

Geschwüre vierten Grades

Also machte die Direktorin den Vorschlag, um 1.000 Euro eine gebrauchte anzuschaffen, nachdem der Vorbesitzer gestorben war. Auch das wurde abgelehnt. So wurde die 92-Jährige auf Liegekissen und eine so genannte Corpoform-Matratze gebettet, die eigentlich nur prophylaktisch und nicht im Akutfall eingesetzt werden. Die Folgen:
Die betagte Frau hatte am Ende Geschwüre vierten Grades. „In den acht Jahren, in denen ich dieses Haus betreue, habe ich so etwas noch nie gesehen“, sagte dazu nun der behandelnde Arzt.

Die Patientin ist mittlerweile verstorben. „Sie war nach dem Tod ihres Mannes eine Sterbende. Wie eine Kerze, die am Verlöschen ist“, beschrieb der praktische Arzt den Zustand der 92-Jährigen. Deswegen habe er auch von drastischen, etwa operativen Eingriffen gegen die Geschwüre Abstand genommen. „Heute würde ich vielleicht etwas anders machen. Mehr Dokumentation, Absicherungsmedizin. Was ich ethisch eigentlich nicht vertrete, heutzutage aber bei der herrschenden medical correctness offensichtlich notwendig ist, um nicht in Schwierigkeiten zu kommen“, erklärte er.

Beschuldigte fühlen sich nicht verantwortlich

Beim nächsten Termin sollen Vertreter der Geschäftsleitung als Zeugen aussagen. Die Beschuldigten sind in dem betroffenen Heim übrigens durchwegs nicht mehr tätig. Die Direktorin reichte im Oktober 2003 die Kündigung ein, nachdem man ihr vorgeschrieben hatte, die Nachtdienste zu streichen.

Die Beschuldigten fühlten sich dafür nicht verantwortlich. Einer der Verteidiger vermisste die Geschäftsführung des Heimes auf der Anklagebank. Den Fall hatte die MA 47 mit einiger Verspätung zur Anzeige gebracht, nachdem die Missstände im Pflegeheim Lainz bekannt geworden waren.

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