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Hiroshima: 70 Jahre nukleares Inferno und die tödliche Mission der "Enola Gay"

Hiroshima: Nukleares Inferno jährt sich zum 70. Mal.
Hiroshima: Nukleares Inferno jährt sich zum 70. Mal.
Die "Enola Gay" war auf ihrem langen Flug von Hiroshima zurück auf die US-Militärbasis auf der kleinen Pazifikinsel Tinian, als Copilot Robert Lewis das Logbuch aufschlug und niederschrieb, was ihm durch den Kopf ging. "Wie viele Japaner haben wir genau getötet?", fragte er. "Ich habe ehrlich gesagt das Gefühl, um Worte zu ringen, um das zu erklären." Weiter schrieb Lewis: "Mein Gott, was haben wir getan?" Die Namen Hiroshima und Nagasaki rufen heute schreckliche Erinnerungen wach: Am 6. und 9. August 1945 warfen die USA Atombomben auf die japanischen Städte. Weit mehr als 100 000 Menschen starben sofort.

Der B-29-Bomber hatte am 6. August 1945 die erste Atombombe abgeworfen. Der Sprengkörper mit dem harmlos klingenden Namen “Little Boy” explodierte etwa 600 Meter über der Innenstadt von Hiroshima, die weitgehend ausgelöscht wurde. Bis zu 80.000 Menschen waren sofort tot. Im Anblick des Atompilzes, der kilometerweit in die Höhe stieg, zeigte sich Lewis von einer sofortigen Kapitulation Japans überzeugt: “Sie wollen sicher nicht, dass wir weitere Atombomben wie diese abwerfen.”

Der US-Kampfpilot irrte. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs vergingen noch 27 Tage. Am 9. August warfen die USA eine zweite Atombombe ab, “Fat Man”, dieses Mal über Nagasaki. Erneut wurden knapp 40.000 Menschen auf der Stelle getötet. In den kommenden Jahrzehnten fielen bei den Atombombenexplosionen noch Zehntausende Menschen zum Opfer, die an den Langzeitfolgen durch die freigesetzte Radioaktivität starben.

©AP/ Stanley Troutman, File

Der Einsatz der im streng geheimen Manhattan-Projekt entwickelten Atombombe traf damals auf große Zustimmung in der US-Bevölkerung, die nach dem Sieg über Nazideutschland in Europa auch ein Ende des Kriegs im Pazifik herbeisehnte. Auch 70 Jahre später steht eine Mehrheit der US-Bürger noch immer hinter den Abwürfen.

Einer Erhebung des Pew-Instituts vom Februar zufolge halten 56 Prozent der Befragten den Einsatz der Atomwaffen gegen Japan rückblickend für gerechtfertigt. Ohne die Atombombe, so wird argumentiert, hätten Zehntausende, vielleicht Hunderttausende US-Soldaten bei einer Invasion in Japan ihr Leben gelassen.

Die “Enola Gay” steht heute im Luft- und Raumfahrtmuseum der Smithsonian-Stiftung in Washington. Das Schild mit der kurzen Beschreibung des Ausstellungsstücks macht keine Angaben über den Tod und die Verwüstung, die dieses Flugzeug über zwei Großstädte brachte. Vor zwei Jahrzehnten scheiterten Historiker mit dem Versuch, bei einer Sonderausstellung zum 50. Jahrestag der Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki die japanischen Opfer stärker in den Fokus zu rücken. Die Pläne stießen bei Weltkriegsveteranen auf einen Sturm der Entrüstung.

“Ein Paket voller Lügen”, erklärte der Pilot der “Enola Gay”, Paul Tibbets, damals erbost zu der Ausstellung. “Viele hinterfragen die Entscheidung für den Einsatz der Atomwaffen. Ich sage ihnen: Hört auf!” Die Smithsonian-Stiftung beugte sich am Ende dem Druck und überarbeitete die Ausstellung. Der Schwerpunkt lag fortan auf der Mission von “Enola Gay”, die moralischen Fragen rund um den Abwurf von Atombomben wurden ausgeklammert.

Von den 16 Millionen US-Bürgern, die im Zweiten Weltkrieg Uniform trugen, leben heute nur noch weniger als 855.000. Die immer geringer werdende Zahl von Weltkriegsveteranen könnte erklären, warum Proteste gegen eine Ausstellung im American University Museum in Washington zum 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe ausblieben. Dort werden 20 Gegenstände präsentiert, die den Feuersturm von Hiroshima und Nagasaki überstanden.

Museumsbesucher können eine verbrannte Schuluniform sehen, eine verkohlte Butterbrotdose, eine Taschenuhr, deren Zeiger zum Explosionszeitpunkt um 8.15 Uhr früh stehen blieben.

Eine Uhr, stehengeblieben um 8.15 Uhr - dem Zeitpunkt, als die Atombombe in Hiroshima am 6. August 1945 explodierte. Foto:  EPA/KIMIMASA MAYAMA
Eine Uhr, stehengeblieben um 8.15 Uhr - dem Zeitpunkt, als die Atombombe in Hiroshima am 6. August 1945 explodierte. Foto: EPA/KIMIMASA MAYAMA ©Eine Uhr, stehengeblieben um 8.15 Uhr – dem Zeitpunkt, als die Atombombe in Hiroshima am 6. August 1945 explodierte. Foto: EPA/KIMIMASA MAYAMA

Eigentlich hätten die Gegenstände schon bei der umstrittenen Smithsonian-Ausstellung im Jahr 1995 gezeigt werden sollen. Der Geschichtsprofessor Peter Kuznick von der American University sagt, mittlerweile freigegebene Dokumente der US-Streitkräfte zeigten, dass auch ranghohe US-Offiziere den Atombombeneinsatz als “militärisch unnötig” und “moralisch verwerflich” abgelehnt hätten.

Manhattan Project: der Weg zur Atombombe

Unter dem Decknamen “Manhattan Project” forcierten die USA in den 1940er Jahren die geheime Entwicklung einer eigenen Atombombe. Damit wollten die Amerikaner Nazi-Deutschland zuvorkommen und den Zweiten Weltkrieg so rasch wie möglich siegreich beenden. Den Beschluss zum Bau der Bombe fasste Präsident Franklin D. Roosevelt im Dezember 1941. Damit kam das Waffenprojekt richtig in Gang.

Wichtige Vorleistungen waren bereits an der Columbia University im New Yorker Stadtteil Manhattan und anderswo erbracht worden. Im November 1942 wurde das Zentrum der Forschungen nach Los Alamos im US-Wüstenstaat New Mexico verlegt, wo Tausende Wissenschafter und Techniker arbeiteten. Militärischer Chef war General Leslie R. Groves. Als “Vater der Atombombe” gilt J. Robert Oppenheimer, Physiker und Forschungsdirektor von Los Alamos.

Am 16. Juli 1945 detonierte die erste Testbombe auf einem stählernen Turm in der Wüste. Drei Wochen danach warfen US-Flugzeuge Bomben auf japanische Städte – “Little Boy” auf Hiroshima und “Fat Man” auf Nagasaki. Unter dem Eindruck der Zerstörungen distanzierte Oppenheimer sich von Atomwaffen.

FILE JAPAN USA HIROSHIMA ANNIVERSARY
FILE JAPAN USA HIROSHIMA ANNIVERSARY ©Nagasaki am 9. August 1945: Der Atompilz vom Boden aus. Foto: EPA/ Nagasaki Atomic Bomb museum (handout)

Anders als in Hiroshima war Nagasaki nicht als Ziel vorgesehen. Die zweite Bombe sollte eigentlich über der Stadt Kokura detonieren, da sie über mehr Industriegebiete als Nagasaki verfügte. Aufgrund einer dicken Wolkendecke war ein Abwurf über Kokura jedoch nicht möglich. Die zweite und letzte jemals in einem Krieg gezündete Atombombe hörte auf den Namen “Fat Man” und war anders als “Little Boy” mit Plutonium bestückt. Um 11.02 Uhr explodierte die Bombe, 500 Meter über einer Waffenfabrik. Ihr Sprengsatz entsprach der Sprengkraft von 22.000 Tonnen des herkömmlichen Sprengstoffs TNT und war somit deutlich stärker als ihre Vorgängerin. Bis zum Ende des Jahres 1945 sollen durch den Atomschlag in Nagasaki etwa 75.000 Menschen ums Leben gekommen sein.

Einige Tage nach den zwei verehrenden Atomangriffen endete der Zweite Weltkrieg mit der Kapitulation Japans. US-Militärstrategen und Politiker stellten die nukleare Kriegsführung lange Zeit als einzigen Ausweg aus dem Weltkrieg dar. Noch Jahre später hatte der damalige US-Präsident Harry S. Truman erklärt, die Bombe hätte ihn nicht um seinen Schlaf gebracht.

Die Explosion verursachte eine Druckwelle, die mit einer Anfangsstärke von 35 Tonnen pro Quadratmeter und mit einer Geschwindigkeit von 440 Metern pro Sekunde Gebäude und Menschen niederwalzte. Die Lungen der Menschen hielten dem Druck nicht Stand und kollabierten. Viele wurden meterweit durch die Luft geschleudert oder von herumfliegenden Trümmern und Glassplittern tödlich verletzt. Im Umkreis von 500 Metern um den “Ground Zero” waren fast alle Menschen sofort tot. Die Temperatur erreichte eine Sekunde lang zwischen 3.000 und 4.000 Grad Celsius.

Einen Tag nach der Atombombe in Hiroshima. Foto:  EPA
Einen Tag nach der Atombombe in Hiroshima. Foto: EPA ©Ein Opfer mit schweren Verbrennungen einen Tag nach der Atombombe in Hiroshima. Foto: EPA

Erste Symptome der akuten Strahlenkrankheit traten durch Übelkeit, Erbrechen und Durchfall auf. Die Überlebenden des Bombenabwurfs, genannt “hibakushas”, litten an ständigen Kopfschmerzen, Haarausfall und Infektionen. Exakte Angaben können weder über die Zahl der Todesopfer noch über jene der Verletzten und Überlebenden gemacht werden. Schätzungen zufolge sollen 140.000 Menschen bis Ende 1945 an den direkten Folgen der Atombombe gestorben sein. Die Spätfolgen der radioaktiven Verseuchung zeigen sich bis heute in Form von Schilddrüsen-, Lungen-, und Brustkrebs oder Leukämie. Das japanische Gesundheitsministerium gibt die Zahl der Strahlentoten bis mit 300.000 an. Die Japanisch-amerikanische Radiation Effects Research Foundation spricht von 150.000 bis 240.000 Toten.

Jährliche Gedenkfeier in Hiroshima

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gab sich Japan eine pazifistische Verfassung und wurde ein Verbündeter der USA. Die jährliche Gedenkfeier ist eine Mahnung an die Welt, die Schrecken einer Atombombenexplosion nie zu wiederholen. 2010 hatte erstmals der US-amerikanische Botschafter in Japan an der Zeremonie in Hiroshima teilgenommen, 2012 Trumans Enkel Clifton Daniel. Ein US-amerikanischer Präsident hat die Stadt bisher nie offiziell besucht. (APA/dpa/red)
August 1945 Ð Atombomben auf Japan
August 1945 Ð Atombomben auf Japan
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