„Hier treffen die Schrecken der Vergangenheit auf die Zukunft“

Dornbirn. Noch vor einem Jahr drückte Severin Telser die Schulbank im Bundesgymnasium Dornbirn und bereitete sich auf die Matura vor. Nun sitzt er in einem kleinen Büro im Staatlichen Museum Majdanek auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Majdanek in Lublin (Polen) und wartet auf die nächste Gruppe. Severin Telser absolviert einen sogenannten Gedenkdienst als Zivildienstersatz und zu seinen Aufgaben gehört es, Führungen für deutsch- und englischsprachige Gruppen zu geben.
„Ich habe mich immer schon sehr für Geschichte interessiert, insbesondere für den Holocaust. Als ich vom Gedenkdienst hörte, war ich sofort begeistert“, beschreibt Severin seine Motivation. Trotz anfänglicher Begeisterung hatte er neben dicken Wollpullis auch eine große Portion Unsicherheit im Gepäck, als er vor zweieinhalb Monaten in Polen ankam. „Davon ist nicht mehr viel übrig. Es ist so viel passiert, ich durfte so viele neue Menschen unterschiedlichster Herkunft kennenlernen und schon so viele neue Orte besuchen. Obwohl die Zeit wirklich verflogen ist, fühlt sie sich an wie eine Ewigkeit“, meint der junge Dornbirner.
Berührende Begegnungen
Neben den Führungen über das Museumsgelände, bringt Severin Besuchern die Themen Nationalsozialismus und Holocaust in Workshops näher und unterstützt das Museum bei Übersetzungen vom Deutschen ins Englische. Am meisten freut er sich immer auf den Mittwoch – dann darf er zusammen mit anderen Freiwilligen bei einem Überlebendentreffen dabei sein. „Wir kümmern uns um Kaffee und Kuchen und reden mit den Zeitzeugen, sowohl über historische Themen als auch über Aktuelles. Es ist für uns eine sehr bereichernde Erfahrung, mit solchen Personen in Kontakt treten zu dürfen“, betont Severin Telser. Obwohl die Geschehnisse mittlerweile mehr als 80 Jahre in der Vergangenheit liegen, hat er das Gefühl, das Thema könnte nicht aktueller sein. „In Majdanek treffen die Schrecken der Vergangenheit auf die Zukunft in Gestalt junger Menschen, deren Verantwortung es einmal sein wird, für unsere Werte wie Menschenrechte und Toleranz einzustehen. Ich bin dankbar, dass ich dazu beitragen darf.“
Ansporn fürs Leben
Die kommenden neun Monate möchte Severin Telser nutzen, um noch mehr zu lernen – „zum Beispiel wie man pädagogisch sinnvoll mit Menschen arbeiten kann, wie man sich kritisch mit komplexen Themen beschäftigt und wie man sich von Neuem ein soziales Umfeld aufbaut.“ Die Geschichten der Menschen, die in Majdanek interniert, misshandelt und getötet wurden, werden ihm immer eine Mahnung bleiben. „Man kann hier sehr gut nachvollziehen, was passieren kann, wenn man sich nicht genug gegen Hetze und Hass stellt. Es ist also auch ein Ansporn fürs Leben, für die eigenen Werte einzustehen“, sagt Severin Telser.
Severin Telser absolviert seinen Auslandszivildienst über den Verein „GEDENKDIENST“, eine politisch unabhängige, überkonfessionelle Organisation, die sich mit den Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen auseinandersetzt. Seit mehr als zwei Jahrzenten entsendet der Verein Freiwillige – nicht nur Zivildiener – in die unterschiedlichsten Länder, in denen das NS-Regime Verbrechen begangen hat oder in denen heute Verfolgte oder Überlebende leben.