Als Lorenz King endlich ankommt, ist niemand zuhause. Kein Licht brennt im Haus, die Tür ist verschlossen. Eismeerfront in Finnland, Westfront, Gefangenschaft in Frankreich: Kings Odyssee führte ihn vier Jahre lang quer durch Europa. Und jetzt, an Heiligabend 1945, ist er endlich zurück und niemand ist da. Die Christmette!, kommt es ihm. Es ist schon nach Mitternacht, als King in seiner zerlumpten Uniform den Hörbranzer Kirchenvorplatz erreicht. Die Messe ist gerade aus, bekannte Gesichter strömen aus dem Gottesdienst und vom Kirchturm aus spielen Musiker Stille Nacht. Am Grab seines Vaters, während das Weihnachtslied noch ausklingt, kann er erstmals wieder seine Mutter und Geschwister umarmen.
Das war wie ein Wunder. Das ging unter die Haut, erzählt der heute 87-Jährige über diesen unvergesslichen Abend vor 65 Jahren. Heute sitzt Lorenz King an seinem Küchentisch in der Sägerstraße. Wenn er aus dem Fenster schaut, sieht er gegenüber sein früheres Elternhaus. Dort wohnen jetzt zwei seiner sechs Kinder. Er hat sich nebenan eigenhändig ein neues Heim geschaffen. Schließlich ist er ja Maurer. Überhaupt wohnen fünf seiner sechs Kinder noch in unmittelbarer Nähe in seiner Heimatgemeinde Hörbranz. Ich bin immer gut versorgt. Meine Kinder verwöhnen mich, das ist herrlich, weiß er seine Umstände zu schätzen. Umso mehr, nachdem er seine Frau vor elf Jahren durch einen tragischen Lkw-Unfall verlor.
Laut sprechen müssen sie mit ihm, seine Kinder. Schließlich hört er nicht mehr so gut. Aber seine Antworten sind sehr klar. Und manchmal auch ein wenig spitzbübisch. Den Humor hat er sich über die Jahre weg bewahrt, obwohl es nicht immer leicht war, als Maurer für Frau und sechs Kinder zu sorgen. Aber dafür ist er immer noch fit. Der rüstige Pensionist zählt Fahrrad fahren, Wandern, und Wein keltern zu seinen Hobbys. Bei der Hörbranzer Fronleichnamsschützenkompanie ist er seit über 50 Jahren aktiv. Der 24. Dezember war King immer schon wichtig. Aber seit 1945 hat es noch mehr Bedeutung. Die Weihnachtsabende davor verbrachte er bei Minusgraden im Norden Finnlands. In der kältesten Nacht hatte es minus 64 Grad, erzählt er. Und von Besinnlichkeit war keine Spur. Das war eine trostlose Gegend. Der Russ hat meistens an Heiligabend angegriffen, erzählt er mit bitterem Unterton.
Zwölf Enkel, zwei Urenkel
Dass die ganze Familie über die Feiertage zusammenkommt, ist ihm jetzt besonders wichtig. Alle gemeinsam ist allerdings bei der Größe schon schwierig: Fünf Söhne, eine Tochter, zwölf Enkel, zwei Urenkel. Die passen kaum alle gleichzeitig in sein Wohnzimmer. Schließlich nimmt einen großen Teil des Raumes seine Naturkrippe ein. King hat die fast drei Meter lange Krippe alleine gebastelt, aus ausgehöhlten Baumstämmen, Ästen und frischem Moos. Das habe ich mir damals, Weihnachten 1945, geschworen, dass ich zum Dank eine Krippe baue, erzählt er.