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"Hammer-Anklage" gegen Chefinspektor der Wiener Polizei

©APA
Der Fall des nun angeklagten und seit drei Jahren suspendierten Chefinspektors ist eine Facette der sogenannten Wiener Polizei-Affäre, bei der mehrere Spitzenbeamte unter anderem wegen angeblich allzu enger Rotlicht-Kontakte ins Gerede kamen. Der frühere Landespolizeikommandant Roland Horngacher musste in weiterer Folge aus dem Dienst ausscheiden.

Wie Behördensprecher Friedrich Köhl am Dienstag auf APA-Anfrage bekanntgab, hat die Staatsanwaltschaft Korneuburg beim Wiener Straflandesgericht gegen den vom Dienst suspendierten Spitzenbeamten eine Anklage eingebracht, die sich wie ein Auszug aus dem Strafgesetzbuch liest.

Dem ehemaligen Gruppenleiter der Kriminaldirektion (KD) 1 wird Amtsmissbrauch, Verletzung des Amtsgeheimnisses, Nötigung, falsche Zeugenaussage, Bestimmung zur Falschaussage, Betrug und das Begehen strafbarer Handlungen unter Ausnützung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit angelastet. Dafür ist ein Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Haft vorgesehen.

Die “Hammer-Anklage” wird nun dem Verteidiger des Polizisten, der mit Wiener Unterwelt-Größen auf Du-und-Du gewesen sein soll, zugestellt. Dieser hat dann zwei Wochen Zeit, um dagegen Einspruch anzumelden. Die Anklage ist daher noch nicht rechtskräftig. Für den Chefinspektor, der stets sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe als haltlos zurückgewiesen hat, gilt die Unschuldsvermutung.

Derzeit ist noch unklar, wo der Prozess stattfinden wird. Die an sich zuständige Richterin des Wiener Straflandesgerichts hat eine Delegierung der Verhandlung nach Korneuburg angeregt: Der Chefkriminalist der sogenannten Gewalt-Gruppe hatte über Jahre hinweg dem Grauen Haus Erkenntnisse geliefert, auf deren Basis zahllose Straftäter abgeurteilt wurden. Um dem Anschein einer daraus resultierenden möglichen Befangenheit entgegenzutreten, soll das Strafverfahren ans Landesgericht Korneuburg abgetreten werden. Ob dieser Anregung nachgekommen wird, hat das Wiener Oberlandesgericht (OLG) zu entscheiden.

Der Chefinspektor war vor drei Jahren in die Schlagzeilen geraten, als ruchbar wurde, dass er auf der pompösen Hochzeitsfeier des ihm angeblich freundschaftlich innig verbundenen Dragan J. alias “Repic” in Feierlaune in Erscheinung trat. “Repic” galt als Anführer einer Schutzgeld-Truppe, die in der Wiener Unterwelt Schrecken verbreitet und in großem Stil abkassiert haben soll. Der Spitzenpolizist wurde daraufhin vom Dienst suspendiert.

In weiterer Folge kamen immer neue und vor allem strafrechtlich gravierende Vorwürfe gegen den inzwischen 52 Jahre alten Top-Kriminalisten zutage, die als Vorlage für einen Mafia-Film dienen hätten können und die in der nun eingebrachten Anklageschrift ihren Niederschlag fanden.

So soll der Chefinspektor im Zusammenhang mit einer Schießerei im Cafe “Cappuccino” in Wien-Hernals, bei der am 30. Mai 2006 ein Lokalbesucher erschossen und ein weiterer schwer verletzt wurde, einseitig ermittelt und dazu beigetragen haben, dass ein Mann als mutmaßlicher Mörder vor Geschworene gestellt wurde, gegen den die Staatsanwaltschaft im Gerichtssaal mangels Indizien die Anklage fallen lassen musste: Keiner der von der Polizei präsentierten Belastungszeugen erkannte vor Gericht im Angeklagten den Schützen wieder.

Auf der anderen Seite stellte sich heraus, dass zum Zeitpunkt der Schießerei im “Cappuccino” mit Munir F. (42) eine Gürtel-Größe anwesend war, über den der Chefermittler seine “schützenden Hände” gehalten haben könnte. Als ein Zeuge nämlich zur Polizei ging, um eine Aussage über den möglichen Schützen zu machen, die Munir F. in Verlegenheit hätte bringen können, soll der Chefinspektor die Niederschrift zerrissen haben.

Andere Zeugen wiederum soll der Spitzenpolizist beeinflusst und eingeschüchtert haben bzw. einschüchtern haben lassen, indem er sich etwa im Februar 2008 mit einer Kellnerin zu nächtlicher Stunde auf einem Fußballplatz außerhalb von Wien traf. In weiterem Verlauf soll die Frau von Bekannten des Polizisten kontaktiert und dazu gebracht worden sein, im Zusammenhang mit der Causa “Cappuccino” den Verdacht neuerlich auf jenen Mann zu lenken, der zuvor als mutmaßlicher Mörder schuldlos eineinhalb Jahre in U-Haft gesessen war. Offenbar sollte damit vom wahren Täter abgelenkt werden.

Die Kellnerin und weitere, offenbar ähnlich präparierte Zeugen hat die Justiz mittlerweile rechtskräftig wegen falscher Zeugenaussage abgeurteilt. Munir F. verbüßt derzeit wegen schwerer Erpressung, Nötigung, absichtlicher schwerer Körperverletzung und Bestimmung zur Falschaussage und Verleumdung eine sechsjährige Freiheitsstrafe.

Auch als Privatmann dürfte der 52-jährige Top-Kriminalist übrigens mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt geraten sein: Er soll in einem Lokal von seiner Lebensgefährtin besorgte gefälschte Textilien der Firmen “Gucci” und “Louis Vuitton” als echt verkauft haben.

Fest steht auch, dass der außer Dienst gestellte Chefinspektor der Wiener Polizei sich bestens mit einem 37-jährigen Geschäftsmann verstand, den Staatsanwältin Nicole Baczak am Dienstag im Wiener Straflandesgericht ungeniert der “Baumafia” zuordnete. Der Mann, der infolge dubioser Machenschaften in der Baubranche seit sechs Monaten in U-Haft sitzt, wurde im Grauen Haus wegen versuchter Bestimmung zum Amtsmissbrauch zu neun Monaten bedingt verurteilt.

Der 37-Jährige hatte den Top-Kriminalsten dem nicht rechtskräftigen Urteil zufolge am 19. Jänner 2007 dazu gebracht, für ihn in Erfahrung zu bringen, ob nach dem Ex-Geschäftsführer einer seiner Firmen, der ihm einen größeren Geldbetrag entwendet hatte, gefahndet wurde. Auf Bitte des Geschäftsmann eruierte der Polizist im EKIS-Computer, ob ein Haftbefehl vorlag.

“Ich habe nicht gewusst, dass er das nicht darf”, sagte der 37-Jährige. Und er deutete an, dass er für den Chefinspektor als offenbar sehr brauchbarer Informant tätig war (“Ich habe ihm viel aus der Jugo-Szene erzählt, was für seine Arbeit interessant gewesen ist”) und sich daher die “kleine Gefälligkeit” als Gegenleistung erwartet hatte.

Dies möglicherweise umso mehr, als er dem Spitzenbeamten den Jahreswechsel 2006/2007 “gesponsert” haben dürfte. Es besteht der Verdacht, dass der 37-Jährige dem Polizisten und seiner Ehefrau Flugtickets nach Sarajevo bezahlt hat. In jedem Fall logierten die beiden in einem Hotel, das dem Geschäftsmann gehört. Bezahlte Rechnungen für den Silvesterurlaub konnte der Beamte nicht vorlegen.

Zum heutigen Verfahren gegen seinen guten Bekannten war der Chefinspektor als Zeuge geladen. Zur Überraschung von Richterin Martina Hahn entschlug sich der Polizist dabei nicht der Aussage, obwohl dies im Hinblick auf seinen bevorstehenden Prozess zu erwarten gewesen wäre.

Der 52-Jährige behauptete, er sei “auf das, was er von mir wollte, nicht eingegangen”. Er habe die Abfrage “für mich selbst als Kriminalbeamter gemacht”, weil er die Person, um die es ging, mit einer konkreten Amtshandlung in Verbindung brachte.

Seinem Freund – mit den Worten “A Freundschaft ist nicht aus, weil a Problem entstanden ist” untermauerte der Polizist sein nach wie vor aufrechtes Naheverhältnis zum Angeklagten – habe er nichts über die Abfrage erzählt, sondern “bloß bla bla, ja ja g’sagt. Natürlich hilft ma am Freund. Aber es is’ net ‘gangen. Also hab i eahm a Gschicht’l druckt”.

Chronologie des Falles:

Ernst Geiger hatte wegen der Affäre keine Möglichkeit, sich um den Posten des Polizeipräsidenten zu bewerben. Der mittlerweile rehabilitierte Geiger ist heute Abteilungsleiter im Bundeskriminalamt. Der Chefinspektor kam unter anderem im Zuge der Ermittlungen um die Schießerei im Cafe “Cappuccino” in Hernals ins Gerede. Eine Chronologie des Falles:

30.5. 2006: Vier Männer stürmen kurz nach Mitternacht in das Cafe “Cappuccino” in Hernals und beginnen eine wilde Schießerei. Zwei Personen werden lebensgefährlich verletzt, einer der Männer stirbt. Zunächst sieht die Geschichte so aus, als wäre es ein Racheakt gewesen, der sich gegen eine “Muki” genannte Rotlicht-Größe gerichtet habe. Vier Personen werden zunächst festgenommen, darunter Munir F. alias “Muki”, der Gast im “Cappuccino” war.

14.3. 2007: Es wird bekannt, dass das Büro für Interne Angelegenheiten (BIA) gegen einen weiteren Wiener Kriminalbeamten ermittelt. Es taucht Bildmaterial auf, auf dem der Gruppenführer der Kriminaldirektion 1 (KD 1) auf der Hochzeitsfeier einer bekannten Wiener Rotlichtgröße zu sehen sein soll. Mit dem Chefinspektor auf dem Foto ist der kürzlich von Beamten des Kriminalkommissariats West verhaftete Dragan J. alias “Repic –der Zopf”. Der Polizist, der seine Unschuld beteuert, wird versetzt.

21.3. 2007: Der Chefinspektor wird vom Dienst suspendiert.

26.6. 2007: Im Wiener Landesgericht beginnt ein Prozess, den der suspendierte Chefinspektor gegen einen jahrelang in der Unterwelt als “Aufpasser” beschäftigten Mann wegen übler Nachrede und Kreditschädigung angestrengt hat. Der 36-Jährige, wegen dessen Aussagen es zur Suspendierung des Beamten gekommen sein soll, belastet den Polizisten erneut schwer: Unter anderem behauptet er, dieser habe für eine Auskunft eine teure Uhr verlangt. Der Ermittler weist erneut alle Vorwürfe zurück. Weil der Wahrheitsbeweis des 36-Jährigen laut Richterin nicht eindeutig gelungen ist, wird er zu einer teilbedingten Geldstrafe wegen übler Nachrede verurteilt.

23.11. 2007: Knalleffekt im Prozess um den Mord im Cafe “Cappuccino”: Die Staatsanwaltschaft zieht die Anklage gegen einen 39-Jährigen zurück. Der einzige Belastungszeuge, der zunächst den Angeklagten noch als Todesschützen identifiziert hat, sagt im Prozess, er sei von der Polizei instrumentalisiert worden und habe den Täter in Wahrheit nicht gesehen. Die Ermittlungen in dem Fall hatte die von dem suspendierten Chefinspektor geleitete Gruppe der KD 1 inne. Der Verdacht wird laut, dass einseitig in eine falsche Richtung ermittelt und ein angeblicher Belastungszeuge zu einer unrichtigen Aussage gedrängt wurde. Das BIA untersucht die Causa, auch die Mordermittlungen selbst werden neu aufgerollt.

28.11. 2008: Munir F. alias “Muki” wird in Zusammenhang mit der Schießerei im “Cappuccino” zu drei Jahren Haft wegen Zeugenbeeinflussung verurteilt. Er soll mehrere Personen veranlasst haben, den Verdacht auf den 39-Jährigen zu lenken. Einer der zur Entlastung von “Muki” aufgebotenen Zeugen zündet jedoch eine Bombe. “Muki” soll demnach mit dem suspendierten Chefinspektor bestens bekannt gewesen sein. Der Zeuge behauptet, in den Ermittlungen im Fall “Cappuccino” eine Aussage gemacht zu haben, in der er unter anderem Angaben über den möglichen Schützen getätigt habe. Der Chefinspektor hätte jedoch das Protokoll danach zerrissen.

16.2. 2010: Für den Chefinspektor wird es eng: Die Staatsanwaltschaft Korneuburg bringt beim Wiener Straflandesgericht eine Anklage ein, die sich wie ein Auszug aus dem Strafgesetzbuch liest. Dem ehemaligen Gruppenleiter wird Amtsmissbrauch, Verletzung des Amtsgeheimnisses, Nötigung, falsche Zeugenaussage, Bestimmung zur Falschaussage, Betrug und das Begehen strafbarer Handlungen unter Ausnützung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheiten angelastet. Dafür ist ein Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Haft vorgesehen. Die Anklageschrift ist noch nicht rechtskräftig.

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