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Halt auf freier Strecke

Das Sterben ist nicht pathetisch, nicht heroisch, nicht sentimental, sondern schlicht - menschlich. Dies müssen Frank Lange (Milan Peschel) und seine Familie in Andreas Dresens neuem Film "Halt auf freier Strecke" erfahren. Darin zeigt der Erfolgsregisseur ("Wolke 9") das langsame Dahinscheiden eines Familienvaters wegen eines Gehirntumors und die Reaktion des Umfelds darauf.

All dies gelingt Dresen und seinem herausragenden Ensemble so erschreckend authentisch, dass man bisweilen kaum hinschauen kann. Ab Freitag (24. Februar) läuft der Vorjahres-Gewinner der Cannes-Sektion “Un certain regard” in den Kinos.

Als Paketzusteller Frank und die Straßenbahnfahrerin Simone (Steffi Kühnert) zum Einstieg in quälend langen Minuten von einem Arzt die Hiobsbotschaft erhalten, dass Frank an einem inoperablen Gehirntumor leidet und nur mehr wenige Monate zu leben hat, bleibt die Kamera unbarmherzig auf den Gesichtern der beiden, würdigt den Arzt gleichsam keines Blickes. Erst als der Druck sich nach dem ersten Schock wendet und der Neurochirurg gezwungen ist, den beiden zu erklären, wie man das den Kindern beibringt, ruht die Einstellung allein auf ihm.

Dresen, der auch das Drehbuch verfasste, hat für “Halt auf freier Strecke” den oftmals zum Scheitern verurteilten Schritt gewagt, den Großteil der flankierenden Rollen mit echten Professionisten zu besetzen. So ist Uwe Träger auch im Brotberuf Chefarzt für Neurochirurgie, ebenso wie die Palliativmedizinerin und die Sterbebegleiterinnen vom Fach sind. Dass diese Laien vor der Kamera gänzlich natürlich agieren, lässt ermessen, wie authentisch die Darsteller – bis hinein in die kleinen Nebenrollen – ihre Figuren zum Leben, oder eben zum Sterben erwecken.

Anstatt satter Streicherteppiche folgt eine ebenso nüchterne wie berührend nahe Schilderung von Franks Verfall. Dazu gehören hilflos-nervige Schwiegereltern ebenso wie das Leid des fortschreitenden Realitäts- und Kontrollverlusts – und eine tiefe Liebe zweier Menschen, die mit dem Tod konfrontiert sind. Es sind Szenen des Abschieds – vom bisher Bekannten, voneinander.

Irgendwann versteht Frank die Bedienungsanleitung fürs Bett nicht mehr, irgendwann bricht er in Tränen aus – in ein jämmerliches, erbärmliches, echtes Weinen, wie selten im Film zu sehen. Im Gegenzug zeigt sich tiefe Menschlichkeit, wenn die ganze Familie Post-Its für Frank im Haus als Wegweiser verteilt, nachdem er auf der Suche nach der Toilette in das Zimmer von Tochter Lilli gepinkelt hat.

Die Fehlzündungen in Franks Hirn häufen sich, da der Tumor trotz aller Chemo- und Strahlentherapie rasant wächst. Schließlich sieht er sogar seinen personifizierten Tumor als Gast bei Harald Schmidt. Diese absurden Elemente finden sich seit Anbeginn ebenfalls in “Halt auf freier Strecke”, wenn Frank nach der Diagnose in eine Meerschweinchen-App spricht, die ihm in Quieksstimme nachspricht “Ich habe einen Gehirntumor”. Allerdings bleibt einem das Lachen hierbei meist im Halse stecken – wie dieser Film einen ohnedies für längere Zeit nicht loslassen wird.

(APA)
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