In ungewöhnlicher Stille hat Haiti am Mittwoch der Opfer des verheerenden Erdbebens vor genau einem Jahr erinnert. Die sonst völlig verstopften Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince waren nahezu leer, in ihre besten Sachen gekleidete Menschen strömten in die Kirche. Bei dem Erdbeben am 12. Jänner 2010 waren mehr als 220.000 Menschen getötet worden, rund 800.000 Einwohner des armen Karibikstaates leben immer noch in Notlagern.
Im Rundfunk spielte am Mittwoch von der Früh an Trauermusik, das Fernsehen zeigte Aufnahme um Aufnahme von dem schrecklichen Beben und den Tagen danach, als Haiti im Chaos zu versinken drohte. Einer der Höhepunkte des Gedenkens sollte ein katholischer Gottesdienst vor der bei dem Beben eingestürzten Kathedrale von Port-au-Prince sein. Ihre Ruine wurde zu einem der Symbole der Katastrophe – und der Unfähigkeit der Regierung, das Land wieder in die Spur zu bringen. Punkt 16.53 Uhr (22.53 Uhr MEZ), dem exakten Zeitpunkt des Erdbebens, sollte eine landesweite Schweigeminute abgehalten werden.
Die Gedenkfeiern hatten bereits am Dienstag begonnen, als Angehörige zu einem Massengrab vor Port-au-Prince pilgerten. Auch Präsident Rene Preval schloss sich den Trauernden an, die Blumen und Kränze ablegten. Der Karibikstaat kämpft nicht nur mit den Folgen des Erdbebens, es wurde im vergangenen Jahr auch von einer Cholera-Epidemie heimgesucht. Zudem stürzte das Land nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen Ende November in eine politische Krise.
Zum ersten Jahrestag des Bebens drängte US-Präsident Barack Obama die internationale Gemeinschaft, ihre Hilfszusagen einzuhalten. Er betonte jedoch, dass Haiti selbst die Führung beim Wiederaufbau übernehmen müsse. Auch der frühere US-Präsident Bill Clinton als Koordinator der internationalen Hilfe äußerte sich in Port-au-Prince “frustriert” über das Tempo des Wiederaufbaus. Bisher seien nur 60 Prozent der für 2010 zugesagten Mittel wirklich gezahlt worden, diesen Rückstand gelte es 2011 aufzuholen.
Die Diakonie Katastrophenhilfe rief die internationale Gemeinschaft auf, den Einsatz von Hilfsgeldern stärker zu überwachen. Die Geberländer müssten darauf dringen, dass die Übergangskommission für den Wiederaufbau Haitis (IHRC) ihre Arbeit transparenter gestalte und regelmäßig über die Fortschritte Rechenschaft ablege, sagte Büroleiterin Astrid Nissen. Bei der Kommission unter der Leitung von Clinton und Haitis Ministerpräsident Jean-Max Bellerive stelle sich zunehmend die Frage, “was die da eigentlich machen”. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon warnte davor, Haiti allein zu lassen. Die Anstrengungen müssten vielmehr verdoppelt und erneuert werden.
Präsident Preval bat am Dienstag darum, dass ein Bericht der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zu den Wahlen nicht während der Gedenkfeiern überreicht werde. Die OAS habe diesen “völlig berechtigten Wunsch” akzeptiert, teilte die OAS mit. In dem Bericht empfiehlt die OAS den Rückzug des von Prevals favorisierten Kandidaten Jude Celestin. Dieser soll demnach seinen Platz in der Stichwahl an den bisher Drittplatzierten Michel Martelly abgegeben.