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Guantanamo: "Was werfen Sie mir vor?"

Auf Anweisung des Obersten Gerichtshofes haben die US-Streitkräfte auf Guantanamo von Juli bis Jänner 550 Militärtribunale abgehalten. Oft wissen nicht einmal die Richter genau, was den Angeklagten vorgeworfen wird.

Häftlinge aus mehr als 40 Ländern konnten ihre Klassifizierung als „feindliche Kämpfer“ anfechten, denen keine Rechte auf einen fairen Prozess eingeräumt werden.

Die Protokolle dieser Tribunale, die der Nachrichtenagentur AP vorliegen, belegen die große Frustration auf beiden Seiten: Die Richter kämpfen mit bruchstückhaften Angaben aus den entlegensten Winkeln der Welt, mit Namensverwechslungen oder irreführenden Aussagen. Die Häftlinge beklagen, man sage ihnen nicht, warum sie überhaupt auf Guantanamo festgehalten würden.

„Ich bin jetzt seit drei Jahren hier, und was immer ich sage, nichts wird mir geglaubt“, sagt der Betreiber einer Hühnerfarm, der als ranghohes Mitglieder des Taliban-Regimes für die Folter zahlreicher Afghanen verantwortlich gewesen sein soll. „Sie hören mir zu, aber sie glauben mir nicht.“

Die Protokolle sind teilweise geschwärzt, damit als geheim eingestufte Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. In den zugänglichen Passagen finden sich kaum Hinweise auf Misshandlungen durch das Gefängnispersonal. Ein Häftling bezeichnet Guantanamo als „Paradies“ im Vergleich zu Gefängnissen der Taliban, in denen er kaum Essen erhalten habe und schwer erkrankt sei.

Ein anderer Häftling beklagte indessen, er sei zwei Wochen in einem Verlies festgehalten worden. „Sie ließen mich hungern und legten mir Handschellen an.“ Er sei sehr überrascht gewesen, dass Amerikaner ihn so schlecht behandelt hätten, sagte der Brite. Er wurde in einer Fabrik für Speiseöl im Jemen festgenommen, die von Al Kaida betrieben worden sein soll.

Viele Häftlinge empfinden ihre Situation als kafkaesk. In Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ wird ein Mann gezwungen, sich gegen ein Verbrechen zu verteidigen, das er selbst nicht kennt. „Das ist nicht gerecht“, gab ein Mann zu Protokoll, der sich selbst als Journalist bezeichnete. „Wenn das Gericht geheime Dokumente gegen mich in der Hand hat, soll es mir diese zeigen.“

Ein Mann wird beschuldigt, der Gruppe Al Irata anzugehören. Auf die Frage, um was für eine Organisation es sich dabei handle, konnte ihm der Richter keine Antwort geben. „Wie können Sie mir die Mitgliedschaft in etwas vorwerfen, von dem Sie nicht wissen, was es ist“, fragte er das Tribunal. Er bezeichnet als saudiarabischer Obsthändler, der einen Monat nach dem 11. September 2001 nach Pakistan gekommen sei, um „den Muslimen zu helfen“.

Er sei ein Krüppel und könne deswegen nicht gegen die USA gekämpft haben, erklärte ein weiterer Angeklagter. „Wie sollte ich kämpfen, wenn ich nicht aufstehen und gehen konnte?“ Einer seiner Mitangeklagten bezeugte, der Mann habe vor vielen Jahren einen Schlaganfall erlitten und sein Haus nur noch für Arztbesuche verlassen.

Ein Nomade berichtete, er habe mit seinem Bruder nach weggelaufenen Ziegen gesucht, als ihn US-Soldaten festgenommen hätten. Die erklärten, er sei in der Nähe eines Sprengkörpers aufgegriffen worden. Im stark verminten Afghanistan scheint dies kein hinreichender Beweis für eine Straftat. „Wie bewegen sie sich fort“, wurde er von dem Tribunal weiter gefragt. „Haben sie ein Fahrzeug?“ Der Mann erwiderte: „Nur ein Kamel.“

Das ist nicht die einzige komisch anmutende Passage in den Protokollen. Ein Guantanamo-Häftling berichtete, er sei von den Taliban gezwungen worden, als Vizegeheimdienst-Minister zu arbeiten. Er habe sein Ministerium jedoch verlassen, als die US-Luftwaffe Kabul angegriffen habe. „Also als es Kämpfe in Kabul gab, waren Sie nicht mehr Minister?“, fragte der Richter. „Nein, als die Bomben flogen, bin ich nach Hause gegangen.“ Ein Tribunalmitglied erwiderte: „Das ist ja auch ein sehr guter Indikator, um die Stechuhr zu betätigen.“

Mit den Ergebnissen der Tribunal-Verhöre muss ein Ausschuss prüfen, ob die Gefangenen zu Recht als „feindliche Kombattanten“ eingestuft worden sind. Bisher sind 38 Häftlinge auf Grund dieser Verfahren freigelassen worden.

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