AA

Guantànamo-Urteil: Schallende Ohrfeige für Bush

Die Guantànamo-Entscheidung des Obersten Gerichts ist eine schallende Ohrfeige für US-Präsident George W. Bush und seinen Justizminister John Ashcroft.

Auch in Zeiten des Anti-Terrorkriegs stehe die Regierung nicht über dem Gesetz, hielten die obersten Hüter der amerikanischen Verfassung unmissverständlich fest. Gefangene hätten das Recht, ihre Festnahme vor Gericht anzufechten.

Das Urteil könnte ungeahnte Tragweite bekommen: die Richter ließen offen, ob auch Gefangene, die nicht auf Guantànamo, sondern anderswo außerhalb der USA in Haft sind, ein Recht auf eine Anhörung haben. Dann könnten der US-Regierung demnächst Klagen von Dutzenden anderen mutmaßlichen Terroristen in US-Gewahrsam ins Haus stehen – etwa von Osama Bin Ladens Militärchef Abu Subaida oder vom Bankier der Hamburger Terrorzelle, Ramzi Binalshibh.

Rechtsanwälte, Menschenrechtsexperten und selbst befreundete Regierungen, die in dem Krieg an Bushs Seite stehen, kritisieren den Allmacht-Anspruch der US-Regierung über die Gefangenen seit langem. Der Kronanwalt der britischen Regierung, Lord Peter Goldsmith, geißelte den Umgang mit den Gefangenen und die geplanten Militärtribunale erst vergangene Woche wieder in scharfen Worten.

Rechtsanwälte haben bereits eine Flut von Klagen angekündigt. Die meisten Gefangenen sind nach eigenen Angaben während der Kämpfe in Afghanistan willkürlich inhaftiert worden. Afghanische US-Verbündete hätten mit Aussicht auf das Kopfgeld, das für jeden Festgenommen ausgesetzt war, wahllos Leute von der Straße aufgegriffen. Das sagt etwa Tarek Dersoul, der dank seines britischen Passes und erheblichen Drucks der Regierung in London im Frühjahr aus Guantànamo freigelassen wurde. Wo und wie die Männer, überwiegend Pakistaner und Afghanen, festgenommen wurden, weiß niemand. Bis heute haben sie keine Chance gehabt, ihre Version der Ereignisse darzustellen.

Gegen den Druck aus aller Welt hielt die Bush-Regierung bis jetzt an ihrer Auffassung fest, dass diese Menschen keine Rechte haben. In Kriegszeiten müsse dem US-Militär einfach vertraut werden – eine Forderung, die viele Skeptiker schon vor dem Missbrauch-Skandal im irakischen Gefängnis Abu Ghraib nicht erfüllen mochten. „Vertrauen hat auch in Kriegszeiten Grenzen“, meinte die „Washington Post“.

„Die Bush-Regierung sagt im Zusammenhang mit der Haft und der Behandlung der Gefangenen immer wieder: „Vertraut uns“. Aber nach den Enthüllungen von Folter und Misshandlung in Abu Ghraib und anderswo sieht es so aus, als sei das Oberste Gericht nicht in der Stimmung, der Regierung freie Hand zu geben“, sagte Jamie Fellner von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

„Gerade in schwierigen und unsicheren Zeiten wird die Verpflichtung unserer Nation zur Rechtsstaatlichkeit getestet“, hielt Richterin Sandra Day O’Connor in dem Urteil fest. „Und gerade in diesen Zeiten müssen wir im Inland zu den Prinzipien stehen, für die wir im Ausland kämpfen.“

In einem Punkt, der Anwälte und Menschenrechtler ebenso zu scharfen Protesten veranlasst hat, scheinen die obersten Richter der US-Regierung allerdings freie Hand zu geben. Die Richter stellten nicht in Frage, dass das US-Militär die Männer unbegrenzt lange festhalten kann. Im Fall des in den USA geborenen Yaser Essam Hamdi schrieb Richterin O’Connor, weil der Krieg noch Generationen dauern könne, sei es durchaus möglich, dass „Hamdis Haft bis an sein Lebensende dauert“.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • Guantànamo-Urteil: Schallende Ohrfeige für Bush
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen