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Guantánamo: Tribunale unrechtmäßig

Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten erklärte die von der Regierung eingerichteten Militärtribunale für die Häftlinge des US-Gefangenenlagers Guantanamo für unrechtmäßig.

US-Präsident George W. Bush hat damit in seiner Anti-Terror-Politik eine schwere juristische Niederlage erlitten. Bush habe mit der Einsetzung der umstrittenen Tribunale seine Kompetenzen überschritten und gegen die Genfer Konventionen verstoßen, heißt es in der Gerichtsentscheidung. Das Urteil gilt als eine der wichtigsten Entscheidungen über die Befugnisse des US-Präsidenten im Kriegsfall seit dem Zweiten Weltkrieg.

Mit der Einsetzung der Tribunale beging Bush nach Einschätzung der Richter mehrere Rechtsverstöße: Der Präsident habe nicht die erforderliche Zustimmung des Kongresses eingeholt, habe mit den Sondertribunalen gegen die Anforderungen der Genfer Konvention für den Umgang mit Kriegsgefangenen verstoßen und zudem den Kodex des US-Militärrechts verletzt. „Die Tribunale haben nicht die Autorität, Urteile zu fällen“, folgerten die Richter in dem mit fünf zu drei Stimmen gefällten Beschluss.

In der Frage der Kompetenzüberschreitung durch Bush urteilte das Gericht unter Verweis auf die US-Verfassung, dass es eindeutig die Befugnis des Kongresses sei, Kriege zu erklären. Konsequenterweise müsse auch der Kongress die Regelungen für den Umgang mit Kriegsgefangenen festlegen. Dem Passus kommt besondere Bedeutung in der politischen Diskussion um Bushs erweiterte Vollmachten im „Krieg gegen den Terror“ zu. Bush berief sich bei der Einsetzung der Tribunale im Alleingang auf die Sondervollmachten, die ihm der Kongress nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eingeräumt hatte. Mit ihrem Urteil setzten die Richter dem Machtanspruch des Präsidenten nun engere Grenzen.

US-Präsident Bush will allerdings trotz der Niederlage vor dem Obersten Gerichtshof grundsätzlich an der Aburteilung von Guantanamo-Häftlingen vor Militärtribunalen festhalten. Er wolle gemeinsam mit dem Kongress eine Möglichkeit finden, die Verfahren durch das Militär abhalten zu lassen, sagte Bush am Donnerstag in Washington. Er kündigte an, dass er eine Lösung gemeinsam mit dem Kongress anstrebe.

Das höchstrichterliche Urteil nehme er „ernst“, betonte Bush. Es bedeute aber nicht, dass die Gefangenen nun „auf die Straße gelassen“ würden. Er sei weiterhin der Überzeugung, dass „einige dieser Leute von Gerichten abgeurteilt werden“ müssten. Genauere Angaben zum weiteren Vorgehen lehnte Bush mit dem Argument ab, er müsse zunächst das Urteil der Washingtoner Richter genauer untersuchen.

Im konkreten Verfahren gegen den jemenitischen Häftling und früheren Fahrer des Terroristenchefs Osama Bin Laden, Salim Ahmed Hamdan, sei gegen die Genfer Konventionen zum Schutz von Kriegsgefangenen verstoßen worden, heißt es in dem Urteil. „Wir kommen zu dem Schluss, dass das Sondertribunal, das gegen Hamdan verhandelt, nicht weiter verfahren kann, weil seine Struktur und Vorgehensweise internationale Vereinbarungen und das Militärgesetz der USA verletzt.“ Hamdans Anwälte argumentieren unter anderem, dass die Tribunale gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstießen. Die Sondertribunale, Militärkommissionen genannt, unterstehen komplett dem Pentagon und gewähren der Verteidigung nur eingeschränkte Rechte.

Die US-Regierung hatte bisher darauf gepocht, Terrorverdächtige nicht als Kriegsgefangene zu betrachten. Unter den Genfer Konventionen stünden diesen nämlich deutlich mehr Rechte zu, als die USA ihnen bisher gewähren. Menschenrechtsgruppen kritisieren vor allem, dass die US-Regierung die Männer seit Jahren ohne formelle Anklage und angemessenen juristischen Beistand festhält.

Das Oberste US-Gericht hat allerdings bereits vor zwei Jahren die Vollmachten des Präsidenten im Krieg gegen den Terrorismus eingeschränkt: Es verfügte, dass Guantanamo-Häftlinge im Kampf um ihre Rechte auch vor US-Gerichte ziehen dürfen und nicht unbefristet und ohne Anklage festgehalten werden können. Das Militär führte daraufhin Kommissionen ein, die die Anschuldigungen verlesen und den Angeklagten Gelegenheit zur Aussage geben. An der Situation der Männer, die teilweise seit vier Jahren ohne Anklage festgehalten werden, hat das nichts geändert.

Bush hatte den europäischen Kritikern des Gefangenenlagers erst in der vergangenen Woche bei einem Gipfeltreffen mit der Europäischen Union in Wien zugesagt, sein weiteres Vorgehen gegen die Guantanamo-Häftlinge an dem Grundsatzurteil auszurichten. Wegen des Streits um die Rechtmäßigkeit des von ihm eingeschlagenen Weges und der zunehmenden internationalen Kritik am Umgang der USA mit den Guantanamo-Häftlingen hat Bush alle Verfahren gegen Terror-Verdächtige ausgesetzt.

Hamdan ist einer von nur zehn der 440 Männer auf Guantanamo, der wegen Verschwörung gegen die USA formell angeklagt wurde. Gegen die meisten anderen reichten die Beweise für eine Anklage nach Angaben des Pentagon nicht aus. Das Militär beanspruchte das Recht, sie gleichwohl festzuhalten, bis der Anti-Terrorkrieg vorbei sei. Bush hat nach wachsender Kritik in aller Welt mehrfach gesagt, er wolle das Lager schließen. Der Oberste Richter John Roberts nahm an der Entscheidungsfindung nicht teil. Er hatte sich vor seiner Berufung an den obersten Gerichtshof in seiner früheren Funktion als Berufungsrichter bereits mit dem Fall befasst. Roberts entschied damals zu Gunsten der Regierung und bezeichnete die Militärtribunale als legal.

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