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Grusa: "Die Tschechen lieben Benes nicht"

Mit der umstrittenen historischen Person des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Benes (1884-1948) hat sich der vormalige tschechische Botschafter in Österreich, Jiri Grusa, auseinandergesetzt.

Grusa, nunmehr Direktor der Diplomatischen Akademie, wies bei einem Vortrag am Montagabend in Wien darauf hin, dass der Begriff „odsun“ („Abschiebung“) für die „Herausliquidierung“ der Deutschen aus den tschechischen Ländern und der Ungarn aus der Slowakei nach 1945 auch im k. u. k. Heimatrechtsgesetz auftaucht, das von der Tschechoslowakei nach dem Zusammenbruch der Donau-Monarchie übernommen wurde.

Die von Benes erlassenen nach ihm benannten Dekrete bildeten die Grundlage für die Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch darin finde sich das Wort „odsun“, wobei die so bezeichnete Abschiebung „geordnet, ruhig und menschlich“ hätte durchgeführt werden sollen, so Grusa. Das k. u. k. Heimatrechtgesetz sollte demnach auf renitente Vagabunden angewendet werden; das Gesetz wurde von den Nazis während der deutschen Besetzung und des Protektorates Böhmen und Mähren abgeschafft.

Grusa zeichnete Benes als allzu kompromissbereiten Mann der falschen Entscheidungen. Im Zusammenhang mit den Maximen des früheren britischen Premierminister Winston Churchill „Im Kriege Mut, in der Niederlage Trotz, im Siege Großzügigkeit, im Frieden good will“ sagte der ehemalige Dissident, Benes habe „meistens das Gegenteil geleistet“. Als Beispiel nannte Grusa den Pakt mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin 1943, als das Staatsoberhaupt, 1938 aus Prag geflohen, federführend an der tschechischen Exil-Regierung in London beteiligt war.

Der Präsident habe aber auch 1948 nach dem Aufstieg der Kommunisten und der sich manifestierenden „Entdemokratisierung“, bereits schwer krank und wieder als Staatsoberhaupt in Prag, „seinen Füller zum Kompromiss“ parat gehabt. Der Kommunistenchef Klement Gottwald wurde dadurch Ministerpräsident. Rund drei Monate später trat Benes dann zurück und starb weitere drei Monate später. Gottwald folgte ihm nach. Jahre zuvor, als die Sowjets das Land verlassen hatten und halbwegs freie Wahlen möglich gewesen seien, habe der Sohn eines Gemischtwarenhändlers aus Kozlany und studierte Jurist keinen wirklichen Wahlkampf ermöglicht, analysierte Grusa.

Zu den Benes-Dekreten sagte Grusa: „Diese Dokumente betreiben nicht nur Vergeltung und Enteignung, wie es nach einem Krieg ’normal’ ist, sondern auch eine Kollektivisierung des Ressentiments und der Rache.“ Das im Vorjahr in Tschechien beschlossene Gesetz zur Würdigung des ehemaligen tschechoslowakischen Präsidenten, das lediglich aus dem Satz „Edvard Benes hat sich um den Staat verdient gemacht“ besteht, nannte der Akademie-Direktor eine „altrömische Geste mit neu-tschechischem Aroma“. „Die Tschechen lieben ihn (Benes) nicht mehr. Aber sie sind immer dabei, ihn zu verteidigen“, erklärte er und führte dies auf die Geschichte nach 1945 zurück.

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