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Großbritannien: Blair kann Geschichte schreiben

Mit einem dritten Wahlsieg in Folge kann sich Tony Blair am 5. Mai - einen Tag vor seinem 52. Geburtstag - endgültig einen Platz in den Annalen nicht nur seiner Partei, sondern auch Großbritanniens sichern.

Vor ihm hatte es die Labour Party in den fast hundert Jahren ihres politischen Daseins nicht einmal geschafft, zwei ganze Legislaturperioden hintereinander am Ruder zu bleiben. Ein Großteil des nunmehrigen Erfolges ist Blair zuzuschreiben – wenngleich sein Nimbus im Zuge des bedingungslosen britischen Engagements im Irak-Krieg mittlerweile deutliche Schrammen erlitten hat – und sich Gerüchte mehren, er würde eine dritte Amtszeit nicht mehr „durchdienen“.

Mit Blair war Labour am 2. Mai 1997 mit einer überwältigenden Mehrheit nach 18 Jahren Konservativer Herrschaft an die Macht gekommen. Mittlerweile kann er auf umfangreiche Regierungserfahrung zurückblicken – mit allen Implikationen: Heute dominiert nicht mehr seine Frische und sein jugendliches Lächeln, sondern sein Selbst- und Sendungsbewusstsein.

Anthony Charles Lynton Blair wurde am 6. Mai 1953 in Edinburgh als Sohn eines konservativen Politikers geboren. Er wuchs in Nordost-England auf und vertritt seinen heimischen Wahlkreis, den Bergarbeiterdistrikt Sedgefield, im Unterhaus. Nach Abschluss einer exklusiven schottischen Privatschule studierte er Jus in Oxford und wurde Anwalt in London mit dem Spezialgebiet Gewerkschaftsrecht. 1983 errang er sein erstes Parlamentsmandat und begann seinen innerparteilichen Aufstieg. Er war Schattenminister für Energie- und später für Arbeitsmarktpolitik und für Inneres und formulierte die Politik der Partei gegenüber den Gewerkschaften.

Als der populäre Labour-Chef John Smith 1994 starb, setzte sich Blair bei der Wahl des Nachfolgers gegen den engen Smith-Mitarbeiter und heutigen Finanzminister Gordon Brown durch. Die traditionell linke Partei richtete er in der Folge politisch völlig neu aus: Um sie auch für Bürgerliche wählbar zu machen, steuerte er sie unter dem Etikett „New Labour“ in die politische Mitte. Er beschnitt den Einfluss der – bereits von Margaret Thatcher geschwächten – Gewerkschaften und setzte an die Stelle der traditionellen Labour-Maximen Vollbeschäftigung und Wohlfahrtsstaat jene von freiem Unternehmertum und vom schlanken Staat. Als Parteichef erzwang er die Streichung der Forderung nach Verstaatlichung der Produktionsmittel und des Bekenntnisses zur Vollbeschäftigung aus dem Parteiprogramm.

Blair gewann damit abseits des Arbeiterlagers so viel Vertrauen, dass er Labour 1997 zum größten Wahlsieg der Parteigeschichte führte und diesen Erfolg 2001 fast in gleichem Ausmaß wiederholen konnte – ein Debakel für die Konservativen, von dem sich diese trotz zweimaligem Obmannwechsel bis heute nicht wirklich erholt haben.

Der Irak-Krieg und Blairs unerschütterliche Gefolgschaft für die USA unter George W. Bush brachten eine Wende: Die Entscheidung hatte Blair nur mühsam gegen großen Widerstand in der Bevölkerung und der eigenen Partei durchgesetzt. Teile seine Fraktion stellten sich im Unterhaus offen gegen ihn, und London erlebte die größte Demonstration seit dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings scheinen die gegenwärtigen Umfragewerte für Labour einmal mehr das mittlerweile zum Kult avancierte Motto des ersten Clinton-Wahlkampfes zu bestätigen: „It’s the economy, stupid“: Die wirtschaftlichen Erfolge und die sozialpolitischen Initiativen wie Investitionen in das marode Gesundheitswesen scheinen den allermeisten Briten bei der Wahlentscheidung allemal mehr Wert zu sein als das desaströse Irak-Abenteuer – noch dazu, wo die Konservativen den Finger nicht auf diese Wunde legen können, ohne damit jene der eigenen Zustimmung zum Irak-Krieg zu reizen.

Blair ist seit 1980 verheiratet und Vater von vier Kindern, einer Tochter und drei Söhnen. Der jüngste, Leo, wurde erst 2001 geboren, mitten im Wahlkampf – ebenfalls ein Novum: Er war das erste Baby eines amtierenden britischen Regierungschefs seit 152 Jahren. Blairs Frau Cherie willigte zwar 1983 ein, ihre eigene politische Karriere zu Gunsten der ihres Mannes aufzugeben, arbeitet aber weiter als erfolgreiche Anwältin – und verdient ein Mehrfaches des Premiergehaltes ihres Mannes. Vielleicht muss es in absehbarer Zeit für zwei reichen: Parteiintern werden Stimmen hörbar, die meinen, dass Labour mit Gordon Brown an der Spitze noch höhere Wahlerfolge einfahren könnte. Und die Gerüchte, dass Blair Brown versprochen hat, beizeiten für ihn das Feld zu räumen, sind ohnehin so alt wie sein erster Wahlsieg.

Hintergrund: Noch nicht auf Rekordkurs

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