AA

Großbritannien steht vor erster großer TV-Debatte im Wahlkampf

Es wird eine historische TV-Debatte, so viel steht schon jetzt fest. Denn am Donnerstag treffen zum ersten Mal vor einer Parlamentswahl in Großbritannien die Chefs der drei größten Parteien - darunter der amtierende Premierminister - in einer Livekonfrontation im Fernsehen aufeinander.

Insgesamt finden bis zum Urnengang am 6. Mai drei derartige Runden statt, bei denen Gordon Brown (Labour), David Cameron (Konservative) und Nick Clegg (Liberaldemokraten) 90 Minuten lang die Klingen kreuzen werden – freilich nach einem sehr genau festgelegten Reglement, das mehr als 70 Punkte umfasst.

Nicht zuletzt deshalb befürchten manche, dass die mit Spannung erwartete erste TV-Konfrontation am Donnerstag allzu formalisiert ablaufen und daher enttäuschen könnte. Wie sich diese Debatte, bei der es um innenpolitische Themen wie das Gesundheitssystem, den Bereich Bildung oder Zuwanderung gehen soll, auswirken wird, lässt sich nach Ansicht des Politologen Iain McLean von der Universität Oxford frühestens am Freitag beurteilen – ebenso wie das Zuschauerinteresse. “Es gibt keinen unmittelbaren Präzedenzfall.” Man könne wenig vorhersagen. “Ich denke, das Einzige, was man voraussagen kann, ist, dass die Liberalen gut abschneiden werden, weil mehr Menschen realisieren werden, dass es sie gibt, als normalerweise.”

Die mediale Vorberichterstattung zur Debatte scheint allerdings nicht bei allen Bürgern großes Interesse zu wecken. “Wann genau ist das?”, fragt ein junger Mann in der Innenstadt von Oxford, der die Politiker-Diskussion augenscheinlich für nicht besonders spannend hält. “Das ist mir eher egal.” Auch ein 50-jähriger Herr mit Sonnenbrille, der vor einem Geschäft auf seine einkaufende Begleitung wartet, winkt ab. “Das ist doch Zeitverschwendung. Da wird den Dingen sowieso nicht auf den Grund gegangen.”

Mehr Klarheit erhofft sich hingegen eine Pensionistin, die auf den Bus wartet und die Frage, ob sie die Debatte am Donnerstagabend verfolgen wird, energisch bejaht – sie wisse noch nicht, wen sie wählen wolle, und müsse sich das deshalb anschauen. Über die Bedeutung der TV-Konfrontation will die 67-Jährige nicht spekulieren. “Das findet zum ersten Mal statt – wer weiß, wie viele Leute sich das anschauen und ob es einen Unterschied macht.” Die Einschaltquote bei der politischen Sendung könnte ihrer Ansicht nach jedenfalls auch davon abhängen, was das Fernsehprogramm sonst noch zu bieten hat: “Wenn zeitgleich eine Seifenoper läuft, werden sich die Leute das nicht anschauen.”

Eine Hilfestellung für seine Wahlentscheidung wünscht sich auch ein 40-jähriger Mann im Anzug, der gerade zu einem Meeting eilt und im Vorbeigehen erklärt, dass er sich die Fernsehdebatte auf jeden Fall anschauen werde. Die 25-jährige Sara, die einen Stapel Bücher aus ihrem Fahrradkorb nimmt, betont die Wichtigkeit, sich zu informieren, vor allem angesichts der Aussicht, dass möglicherweise weder Labour noch die Konservativen eine Mehrheit im Parlament schaffen werden.

Die Zahl der Sitze, die am 6. Mai zu vergeben sind, ist aufgrund von Veränderungen bei den Wahlkreisen von 646 auf 650 gestiegen. Im Jahr 2005 hatte Labour mit 35,2 Prozent der Stimmen 355 von 646 Sitzen gewonnen, die Konservativen kamen mit 32,4 Prozent auf 198, die Liberaldemokraten mit 22 Prozent auf 62 Sitze. Die Mandate werden nach dem Mehrheitsprinzip vergeben. Medienberechnungen zufolge müssten die Konservativen, um eine Mehrheit im Parlament zu erreichen, diesmal 116 Sitze hinzugewinnen.

Das Wahlsystem bevorzuge Labour derzeit erheblich, unterstreicht Politologe McLean. “Selbst, wenn Labour und die Tories dieselbe Anzahl von Stimmen hätten, würde Labour, das ist errechnet worden, vermutlich 80 bis 100 Sitze mehr bekommen. Das heißt, wenn sie den gleichen Stimmenanteil haben, dürfte Labour wieder eine Einparteienregierung bilden.” Die Verzerrung ergebe sich deshalb, weil die Labour-Wahlkreise tendenziell kleiner seien, und die Wahlbeteiligung dort, wo die Partei ihre “sicheren Sitze” habe, eher niedriger sei. “Sie gewinnen also Sitze mit weniger Stimmen.” Dennoch erwartet der Experte aus heutiger Sicht keinen Labour-Wahlsieg: “Am wahrscheinlichsten ist, dass die Konservativen die stärkste Partei sind, aber ohne absolute Mehrheit.”

  • VIENNA.AT
  • Politik
  • Großbritannien steht vor erster großer TV-Debatte im Wahlkampf
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen