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Grasser: Vorwürfe nur politische Rache - Rosam: Moralisch schuldig

Das Thema der ORF-Diskussionssendung "Im Zentrum" am Sonntagabend, die Frage "Karl-Heinz Grasser - Opfer oder Täter?", wurde von diesem äußerst wortreich und im Sinne bisheriger Unschuldsbeteuerungen beantwortet.
Die Vorwürfe gegen ihn seien “politische Rache”, die Ermittlungen Ergebnis einer “Schmutzkampagne einer parteipolitischen Jagdgesellschaft”, empörte sich Grasser. ORF-Moderatorin Ingrid Thurnher musste den redseligen Ex-Finanzminister ermahnen, es handle sich nicht um ein “Einpersonenstück”. PR-Experte Wolfgang Rosam griff Grasser frontal an und warf ihm moralisches Versagen vor: “Moralisch sind Sie schuldig”.

Grasser streifte nur kurz seine durch einen “Format”-Bericht bekanntgewordene Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung, dazu habe er bereits alles gesagt: “Es tut mir leid, dass mir das passiert ist”. Nachdem sein Steuerberater draufgekommen sei, dass er bei seinem kanadischen Wertpapierdepot auch die unterjährigen Spekulationserträge versteuern hätte müssen, habe er rund 20.000 Euro nachgezahlt. “Das Gesetz sagt, da gibt es keine Strafe”, betonte der Ex-Finanzminister: “Ich habe es selbst angezeigt, selbst wieder gutgemacht”.

Für Rosam hingegen ist die Selbstanzeige nur “die Spitze eines Eisbergs”: Grassers Selbstanzeige sei fünf Monate her, jetzt erfahre es die Öffentlichkeit auch, meinte er ironisch. Das Ehepaar Grasser betreibe “starke PR-Tätigkeit” und tauche bei jedem Event auf – “mir fehlt da das Gefühl, die Sensibilität, wie die Öffentlichkeit das empfindet”, rügte er Grasser. Dieser sitze nun lächelnd da und könne sich offenbar gar nicht vorstellen, wie es einem “kleinen Mann auf der Straße” gehe, wenn er 20.000 Euro Steuerabgaben “vergisst”. Angesichts des Vorgehens von Grasser bekomme man das Gefühl, “je weiter oben jemand ist, dass ihm gar nichts passiert”, gab er zu bedenken: “Grasser ist mittlerweile eine Provokation”.

“Ich weiß nicht, wo du mich lächeln gesehen hast in den letzten Monaten”, konterte Grasser, der Rosam duzte, während dieser ihn siezte. “Mir ist das Lachen vergangen”. Jeden Tag sehe er sich mit neuen Vorwürfen konfrontiert, die doch nur “Rache” wegen seiner großen Erfolge als Finanzminister seien. “Das ist eine Schmutzkampagne von einer parteipolitischen Jagdgesellschaft”, wetterte er. Die Situation belaste “jede Phase meines Lebens”, auch seine ganze Familie leide darunter. Deswegen wolle er von der Justiz endlich Ergebnisse der Ermittlungen sehen.

“Ihre engsten Vertrauten, ihre besten Freunde haben mit Insidertipps Millionen gemacht und noch nicht einmal versteuert”, so Rosam: “Moralisch sind Sie für mich schuldig: Sie haben Dinge zugelassen, die ein Politiker in diesem Land nie zulassen darf”. Grasser wehrte sich, er haben weder etwas begünstigt noch zugelassen, weil er vom Lobbyingauftrag der Immofinanz bei der Buwog-Privatisierung an Peter Hochegger und Walter Meischberger nichts gewusst habe. Hätte er gewusst, was in seinem Umfeld passierte, “vielleicht wär’ ich zurückgetreten, vielleicht auch nicht”, sinnierte er, doch “das bringt uns hier nicht weiter”.

Für den Politologen Peter Filzmaier ist durch die Causa Grasser “ein gigantischer Flurschaden” entstanden: Entweder stimmten die Vorwürfe von politischer Korruption und Amtsmissbrauch, dann gebe es “einen lügenden und betrügenden Finanzminister”, oder Grasser habe recht, dann agiere die Justiz “von parteipolitischen Motiven dominiert”. Der Politologe widersprach Grassers Verfolgungstheorie: “Dass sich im fünften Jahr nach Ihrem Ausscheiden alles zu einer Jagdgesellschaft formiert, macht doch keinen Sinn”. Grasser sei kein Opfer, denn er habe große mediale Möglichkeiten, während die Justiz selber ihre Ermittlungen nicht einmal erläutern und kommentieren könne.

Der Ex-Minister hingegen beklagte eine “klassische lehrbuchmäßige Vorverurteilung” ohne Chance zur medialen Gegenwehr: Nur während seiner Zeit als Finanzminister habe er sich wehren können, aber jetzt würden von seiner eineinhalbstündigen Pressekonferenz “nur eineinhalb Minuten” in den Nachrichten gebracht, über seinen “Offenen Brief” sei kaum berichtet worden. Andererseits würden regelmäßig Ermittlungsakten in den Medien auftauchen, seinen Status als Beschuldigter habe er aus der Zeitung erfahren. Im Audimax der Uni Wien seien Abhörprotokolle vorgelesen worden, mit Dank an den Informanten, empörte sich Grasser: “In was für einem Rechtsstaat sind wir?” Diese ganze “Hetzkampagne” schädige ihn auch wirtschaftlich, so versuche er derzeit eine “spezialisierte Finanzberatung” zu machen und “im Immobilienbereich Projekte umzusetzen”, doch seine potenziellen Kunden seien durch die ständigen Vorwürfe gegen ihn verunsichert. “Ich bin kein Opfer, aber ich bin sicher nicht ein Täter”, meinte er schließlich.

Der Präsident der Vereinigung der Österreichischen Staatsanwälte und Staatsanwältinnen, Gerhard Jarosch, nahm die Justiz in Schutz. “Wir können uns keine PR-Berater, keine Armada an Straf- und Zivilanwälten leisten”, verwies er auf die Ungleichheit der Mittel zwischen einem Staatsanwalt und manchen Beschuldigten. Die lange Verfahrensdauer erkläre sich bei Wirtschaftsstrafsachen auch so, dass eine einzelne Kontenöffnung im Ausland bis zu sieben Monate dauern könne. Während ein Beschuldigter in der Öffentlichkeit volle Kooperation verspreche, könne er in Wahrheit die besten Anwälte beauftragen, um Dinge zu verzögern – und die Justiz dürfe das nicht einmal thematisieren, weil sie zum Verfahren schweigen müsse.

Die “Spirale der Informationsgier” würde dann über dunkle Kanäle bedient. Jarosch pflichtete Grasser bei, dass die Veröffentlichung von Ermittlungsakten in den Medien seine Rechte als Beschuldigter verletze – und außerdem das Ermittlungsverfahren störe. “Wenn wir ihn erwischen, werden wir ihn einsperren”, sagte er in Richtung des bisher unbekannten Informanten. In Österreich hätten Skandale leider kaum politische Konsequenzen, beklagte er: “Nicht jede Sauerei ist strafbar”, wenn die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einstelle, etwa weil ein Vorwurf nicht rechtlich haltbar beweisbar sei, gebe es für “politisches Fehlverhalten” in Österreich keine politischen Konsequenzen, aber die Staatsanwaltschaft werde gerügt.

Die Rolle der Medien als Aufdecker verteidigte der Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell. In einer demokratischen Gesellschaft würden die Medien die Kontroll- und Kritikfunktion wahrnehmen, dazu gehöre gelegentlich auch eine formalrechtliche Übertretung. “Whistleblower” hätten in vielen Korruptionsfällen sehr geholfen. Die OGM-Politologin Karin Cvrtila ortet einen deutlichen Vertrauensverlust in Grasser und den Verdacht der Freunderlwirtschaft. Die Politik müsse klären, ob es ein “System Grasser” gebe. Aber auch die Justiz sei betroffen: 50 Prozent der Befragten glaubten nicht, dass die Justiz im Fall Grasser konsequent ermittle.

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