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Glyphosat: Harmlos oder krebserregend? Forscher kritisieren EU-Studie scharf

Glyphosat: Wissenschaftler kritisieren Bewertung von EU-Behörde scharf.
Glyphosat: Wissenschaftler kritisieren Bewertung von EU-Behörde scharf. ©dpa (Themenbild)
Umweltschützer halten den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat für hochgiftig, die Krebsforschungsagentur der WHO stuft ihn als "wahrscheinlich krebserregend" ein. Eine EU-Behörde jedoch behauptet in einem Gutachten das Gegenteil. Gegen eben diese Studie laufen knapp hundert Wissenschafter aus 25 Ländern nun Sturm.

In einem offenen Brief an EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis kritisieren knapp hundert internationale Forscher, dass die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) den Stoff kürzlich als “wahrscheinlich nicht krebserregend” eingestuft hat. Das berichtete die “Süddeutsche Zeitung” am Montag.

EU-Gutachten: Forscher kritisieren schwerwiegende Mängel

Auch gegen das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erhoben die Wissenschaftler schwere Vorwürfe. Die Analyse der deutschen Behörde sowie die darauf aufbauende Bewertung der Efsa enthalte schwerwiegende Mängel, schrieben die Forscher dem Bericht zufolge. Sie sei in Teilen “wissenschaftlich unakzeptabel”, und die Ergebnisse seien “durch die vorliegenden Daten nicht gedeckt”. In dem Schreiben fordern die Wissenschaftler demnach die EU-Kommission auf, bei ihren Entscheidungen “die fehlerhafte Bewertung der Efsa nicht zu beachten”.

WHO bewertet Glyphosat als”wahrscheinlich krebserregend für Menschen”

Die Risiken des weltweit am meisten verkauften Pestizids sind umstritten, seit die Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation den Wirkstoff im Frühjahr als “wahrscheinlich krebserregend für Menschen” bewertet hat. Auch Umweltschützer halten den Stoff für hochgiftig und fordern seit Jahren ein Verbot von Glyphosat.

Forscher aus 25 Länder protestieren gegen EU-Studie

Koordinator des offenen Briefes der Wissenschaftler ist dem Bericht zufolge der Krebsforscher Christopher Portier, Ex-Direktor des US National Toxicology Program, einer wichtigen Einrichtung der US-Regierung zur Chemikalien-Prüfung. Unter den 96 Unterzeichnern sind dem Bericht zufolge anerkannte Wissenschaftler, die für international renommierte Organisationen arbeiten, etwa die Deutsche Forschungsgesellschaft, das Krebsforschungszentrum Heidelberg, die Leibniz-Gesellschaft, das italienische Collegium Ramazzini sowie Universitäten in den USA, Australien oder Japan.

Die Forscher aus 25 Ländern weisen demnach ausdrücklich darauf hin, dass sie für sich selbst sprechen, nicht für ihre Institutionen. Der offene Brief soll am Dienstag in Brüssel übergeben werden.

Neubewertung steht an – für Hersteller geht es um Milliarden

Die Zulassung für Glyphosat in der Europäischen Union läuft nächsten Sommer aus, für die Hersteller geht es um Milliardenumsätze. Für eine neue Genehmigung müssen die Risiken des Unkrautvernichters neu bewertet werden. Ob das Mittel weiter eingesetzt werden kann, entscheidet dann die EU-Kommission. Sie stützt sich dabei auf das Urteil der EU-Behörde Efsa und des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung. Das BfR wies die Vorwürfe der 96 Forscher nach Angaben der “Süddeutschen Zeitung” zurück.

Glyphosat: Harmloses Mittel oder krebserregend?

Fragen und Antworten zum umstrittenen Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat im Überblick:

Was ist Glyphosat und wo wird es eingesetzt?

Glyphosat ist eine Unkrautvernichter und weltweit einer der am meisten eingesetzten Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln. Auch in Österreich und Deutschland wird er oft in der Landwirtschaft und im Gartenbau vor der Aussaat zur Unkrautbekämpfung verwendet.

Wie bewertet die Efsa den Stoff?

Nach Ansicht der Efsa ist es “unwahrscheinlich, dass Glyphosat eine krebserregende Gefahr für den Menschen darstellt”. Die Behörde schlägt aber vor, einen neuen Grenzwert für die akute Aufnahmemenge von Glyphosat, etwa während einer einzigen Mahlzeit, einzuführen und die Höchstgrenze bei 0,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht zu setzen. Der bisher bestehende Grenzwert für die regelmäßige tägliche Aufnahme soll hingegen von 0,3 auf 0,5 Milligramm erhöht werden.

Was wird an der Bewertung der Efsa kritisiert?

Sowohl das Ergebnis der Bewertung als auch das Vorgehen der Behörde werden scharf kritisiert. So bemängeln die Umweltschutzorganisationen Friends of the Earth und Greenpeace Intransparenz und fehlende wissenschaftliche Unabhängigkeit. “Es ist ein schwerer Fehler der Efsa, sich auf die mangelhafte und industrienahe Vorarbeit des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zu stützen”, kritisierten Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und Pestizidexperte Harald Ebner. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht die Empfehlung als einen “Beleg für die unglaubliche Ignoranz der Behörde gegenüber den Gesundheitsrisiken des Wirkstoffes”.

Welche anderen Bewertungen gibt es, was sagen die Kritiker?

Die Krebsforschungsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation WHO hatte Glyphosat im Juli als wahrscheinlich krebserregend eingestuft, das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung hält es hingegen für unbedenklich. Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen warnen seit langem vor einer Neuzulassung des Mittels. Sie wollen verhindern, dass Glyphosat weiterhin in Europa zum Einsatz kommt.

In ihrem offenen Brief kritisieren knapp hundert Forscher aus 25 Ländern, dass die Analyse der deutschen Behörde sowie die darauf aufbauende Bewertung der Efsa schwerwiegende Mängel enthalte. Sie sei in Teilen “wissenschaftlich unakzeptabel”, und die Ergebnisse seien “durch die vorliegenden Daten nicht gedeckt”. In dem Schreiben fordern die Wissenschaftler demnach die EU-Kommission auf, bei ihren Entscheidungen “die fehlerhafte Bewertung der EFSA nicht zu beachten”.

Wie kommt es zu den unterschiedlichen Einschätzungen?

Die Efsa ist nach eigenen Angaben zu einer anderen Einschätzung als die IARC gekommen, weil sie mehrere Studien bewertet hat, die von der WHO-Agentur nicht mit einbezogen worden waren. Zudem gibt es unterschiedliche Bewertungen von Studien und unterschiedliche Ansätze: Während die Efsa nur die Wirkung von Glyphosat bewertet hat, beurteilte die IARC auch Mittel, in denen Glyphosat enthalten ist. Außerdem bewertet die IARC, wie stark die Beweise dafür sind, dass etwas zum Beispiel Krebs auslösen könnte – das ist nicht das Gleiche wie das Risiko, durch das Mittel an Krebs zu erkranken.

Wie geht es jetzt weiter?

Die aktuelle Zulassung für Glyphosat gilt noch bis Ende Juni 2016. Bis dahin muss die Entscheidung über eine mögliche Neuzulassung fallen. Dazu macht die EU-Kommission einen Vorschlag – dieser braucht dann die nötige Mehrheit in einer Gruppe nationaler Experten der EU-Staaten. Bei all dem geht es übrigens nur um die Substanz Glyphosat. Es ist dann an den EU-Staaten zu entscheiden, ob die Pflanzenschutzmittel, die Glyphosat enthalten, sicher sind und auf ihrem Gebiet in den Verkehr gebracht werden dürfen. (APA/dpa/red)

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