AA

"Gewisse Entspannung durch das neue Asylgesetz"

ÖVP-Klubobmann Wolfgang Schüssel im "VN"-Interview zur Asyldebatte und zum Thema Gesamtschule.

VN: Welche Lehre ziehen Sie aus der Asyldebatte, die sich in den letzten Tagen zugespitzt hat?
Schüssel: „Zugespitzt“ kann man nicht sagen: Wir haben eine gewisse Entspannung durch das neue Asylgesetz – 60 Prozent weniger Asylanträge, die Zahl der Abschiebungen hat abgenommen, die Zahl der freiwilligen Rückkehrer ist deutlich gestiegen und die Schubhaftzahlen sind gesunken. Also die Situation hat sich entspannt. Die Lehre, die man aus solchen Ereignissen gemeinsam ziehen muss, ist, dass es einfach nicht in Ordnung ist, dass nach illegalen Schleppereien ganze Netzwerke behilflich sind, mit juristischen Winkelzügen auf Zeit zu spielen und dann zu sagen, schaut her, diese Menschen sind jetzt schon so lange da, dass sie nicht mehr abgeschoben werden können.

VN: Sehen Sie einen Handlungsbedarf gegen solche Netzwerke?
Schüssel: Das ist eine Frage der persönlichen Verantwortung: Ist diese Vorgangsweise jenen Menschen gegenüber klug, die von vorn herein keine Aussicht auf Asyl haben und ihnen trotzdem falsche Hoffnungen zu machen? Die Möglichkeiten des Rechtsstaates darf natürlich jeder nützen, das ist legitim.

VN: Der Priester, der Arigona Zogaj betreut, aber auch der Bundeskanzler fordern ein humanitäres Bleiberecht für ihre Familie. Sehen Sie eine Möglichkeit dafür?
Schüssel: Das kann ich im Detail nicht bewerten, das muss nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes der Innenminister mit dem Landeshauptmann ausmachen. Ich glaube, dass es wichtig ist, klare Spielregelen einzuhalten und Asyl und Zuwanderung auseinanderzuhalten. Wir sind hier mit einer reinen Zuwanderungsfrage konfrontiert und da gibt es eine Reihe von Möglichkeiten: Wenn in Oberösterreich zum Beispiel ein Arbeitgeber sagt, er möchte diesen Vater als Schlüsselarbeitskraft haben dann bestehen dafür klare Möglichkeiten und Regeln. Der Wirtschaftsminister hat außerdem heute den österreichischen Arbeitsmarkt für 50 weitere Berufsgruppen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern geöffnet.

VN: Was sagen Sie als Christdemokrat dazu, dass sich so viele christliche Organisationen für diese Familie engagieren?
Schüssel: Gerade als Christdemokrat bin ich der 100-prozentigen Auffassung, dass wir das Asylrecht als heiliges Recht bewahren müssen und nicht durch ein Bleiberecht für Asylunberechtigte gefährden dürfen.

VN: Unterrichtsministerin Schmied will noch im Oktober eine Schulorganisationsnovelle zur Gesamtschule durch den Ministerrat bringen.
Schüssel: Schauen wir uns einmal das Begutachtungsverfahren an. Ich habe einige interessante Stellungnahmen gelesen: Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes äußert massive Bedenken, Elternorganisationen und viele Landesschulräte haben Einwände. Die Arbeitsgemeinschaft „Schule und Recht“, die sehr stark im Unterrichtsministerium verankert ist, vernichtet den Entwurf geradezu: Sie sagt, es ist absurd, dass all die gescheiterten Gesamtschulversuche noch nicht einmal evaluiert worden sind; dass die Mitbestimmung der Eltern und Lehrer ausgehebelt wird, dass man sich also nicht einmal die Frage stellt, wie man etwas besser machen könnte.

VN: Sie sagen „Nein“ zur Gesetzesnovelle?
Schüssel: Ich diskutiere das nicht abstrakt, sondern nur konkret: Was will die Ministerin eigentlich? Dieses Modell einer Mittelschule ist ja im Entwurf überhaupt nicht definiert, das ist lediglich eine Hülle ohne Inhalt. Was wir sicher nicht machen werden ist, vom Regierungsprogramm abzuweichen. Und im Regierungsprogramm steht nichts von einer gesetzlichen Einführung einer Gesamtschule unter welchen Namen auch immer; dort sind eine Evaluierung bestehender Versuche und die Durchführung neuer Versuche in Modellregionen vorgesehen, allerdings nur unter Mitbestimmung von Eltern, Schülern und Lehrern am Schulstandort. Auf dieser Grundalge sind wir verhandlungsbereit.

VN: Ist es für Sie überhaupt vorstellbar, dass es am Ende keine Hauptschule und keine AHS-Unterstufe mehr gibt?
Schüssel: Warum sollte ich den erfolgreichsten Schultyp abschaffen?

VN: Weil die Gesamtschule darauf hinauslaufen würde.
Schüssel: Was soll besser werden, wenn wir den Schultyp, zu dem sich die Eltern in immer größerer Zahl entschließen, abschaffen? Die Argumente sind sehr hinterfragenswürdig: Die Behauptung, die Hauptschule sei eine Sackgasse, ist beispielsweise falsch; wer in der ersten Leistungsgruppe ist, kann in die AHS-Oberstufe wechseln. Mehr als 50 Prozent der Maturanten kommen heute über die Hauptschule an die Unis und über 12000 Studierende bislang über die Lehre.

VN: So lange die ÖVP Regierungspartei ist, werden Hauptschule und AHS-Unterstufe also bleiben?
Schüssel: Wir werden sicher nicht defensiv verteidigen, was ohnehin niemand abschaffen kann. Unser Zugang ist ein völlig anderer: Wir wollen Probleme, die es ohne Zweifel gibt, lösen. Wir stellen uns die Frage, wie wir etwa die Lehrerausbildung und die Elterneinbindung verbessern können, wie wir die Schulautonomie stärken und die Hauptschulen aufwerten können.

VN: Sie sind in letzter Zeit mit Sakko und T-Shirt aufgetreten. Was hat Sie zum neuen Outfit bewogen?
Schüssel: … das eine war eine Radtour, das andere die Vorstellung der Perspektivengruppe im Stadion. Und ins Stadion bin ich noch nie mit der Ritterrüstung eines Bankmanagers gegangen. Ganz selbstverständlich ist, dass ich mich anlassbezogen kleide, etwa bei Staatsanlässen. Aber jetzt, da ich eine etwas freiere Position habe, nehme ich mir auch die Freiheit heraus, mich so zu kleiden, wie ich es gerne mag.

  • VIENNA.AT
  • Politik
  • "Gewisse Entspannung durch das neue Asylgesetz"
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen