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Gewalt regiert an Frankreichs Schulen

Wenn Anfang März die Schüler aller französischen Regionen aus den Winterferien zurückkehren, wird für etliche von ihnen der Alltag anders aussehen.

Unter den strengen Augen von Polizeibeamten wird sich an 225 Schulen das sonst übliche Gerangel im Schulhof weniger lebhaft gestalten, und Erstklässler können sich endlich wieder auf die Schultoiletten trauen.

Schon seit Monaten brodelt es an Frankreichs Schulen. Seitdem Anfang des Jahres die ersten schlimmeren Fälle von Gewalt in den Klassenräumen an die Öffentlichkeit drangen, reißt die Kette von Nachrichten über Schlägereien, Frotzeleien und Quälereien nicht mehr ab. Viele Direktoren, die es früher aus Angst, für inkompetent gehalten zu werden, nicht gewagt hatten, Fälle von Gewalt zu melden, gehen jetzt in die Offensive.

Einer der spektakulärsten Fälle war der von Mantes-la-Jolie, einem Provinzstädtchen 50 Kilometer westlich von Paris. An der dortigen Jules-Ferry-Schule hatte Pablo – ein Elfjähriger spanischer Herkunft – wochenlang in Angst und Schrecken gelebt, weil ihn drei ältere Mitschüler gezwungen hatten, die spanischen Hausaufgaben für sie zu erledigen. Als sich Pablo endlich dem Direktor der Schule offenbarte und seine Peiniger davon Wind bekamen, stürzten sie ihr Opfer von einer Treppenbrüstung.

Auch die Geschichte im lothringischen Longwy machte Schlagzeilen:
Dort wurde ein Berufsschüler von seinen Mitschülern immer wieder traktiert – sie drückten auf seinen Armen Zigaretten aus und malträtierten ihn mit spitzen Gegenständen.

Im Unterschied zu Deutschland, wo zuletzt vor allem Gewalt gegen Lehrer Schlagzeilen machen, richten sich über 80 Prozent der in Frankreich festgestellten Attacken gegen Mitschüler. Allein 1998/1999 wurden an den rund 75.000 Schulen fast 19.000 Fälle von Gewalt registriert. Neu ist, dass die Schlägereien nicht mehr nur dort an der Tagesordnung sind, wo sie sonst üblich waren: In den mit sozialen Problemen belasteten Vororten der Großstädte, den Banlieus, wo Arbeitslose, Einwanderer und kinderreiche Familien mit niedrigen Einkommen leben.

Frankreichs Bildungsminister Claude Allegre reagierte rasch auf die jüngsten Schreckensmeldungen und legte die zweite Auflage eines Gesetzes vor, das u.a. 7.000 neue Stellen für Sozialarbeiter an knapp 500 Problemschulen und Strafen für Gewalttätigkeiten vorsieht, darunter gemeinnützige Arbeiten bis hin zum Schulausschluss.

Vielen Eltern sind diese Maßnahmen laut einer Umfrage zu halbherzig. Etwa die Hälfte will mehr Kontakt zu den Schulen und einen ausführlichen Dialog mit den Lehrern. Die aber fühlen sich schlichtweg überfordert. „An solchen Problemschulen zu arbeiten ist für uns wie der Dienst in einem Straflager“, erzählt die Junglehrerin Emmanuelle Girou, die in der Pariser Trabantenstadt Saint-Denis unterrichtet.

Ob die beiden ungewöhnlichsten Vorschläge des Bildungsministers etwas ausrichten können, bezweifeln die meisten Betroffenen. Dieser hat nämlich vor, Polizisten an Problemschulen einzusetzen und prominente Stars wie den Filmschauspieler Gerard Depardieu oder den Fußballweltmeister Zinedine Zidane für Klassengespräche zu gewinnen.

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