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Gewalt an Frauen: Jede Fünfte in Österreich wurde bereits zum Opfer

Gewalt an Frauen ist ein weit verbreitetes Problem
Gewalt an Frauen ist ein weit verbreitetes Problem ©BilderBox.com (Sujet)
Schätzungen zufolge ist jede fünfte Frau in Österreich körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt, jede siebente Frau ist ab ihrem 15. Lebensjahr von Stalking betroffen. Zuflucht und Beratung finden betroffene Frauen und Kinder etwa in einem der 26 Frauenhäuser und in Gewaltschutzzentren bzw. Interventionsstellen, die es in jedem Bundesland gibt.
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Vor 20 Jahren war Österreich das erste Land in Europa, das per Gesetz Personen – in erster Linie Frauen und Kinder – vor Gewalt im familiären Umfeld schützte. Am 1. Mai 1997 wurde das Gewaltschutzgesetz in Österreich erlassen, das klarstellte: Gewalt ist keine Privatsache, sondern eine Straftat. Und: Der Täter ist derjenige, der gehen muss.

Gewaltschutzgesetz ermöglicht Wegweisungen

Das Gewaltschutzgesetz ermächtigt die Polizei, einen Gefährder aus der Wohnung wegzuweisen und mit einem Betretungsverbot zu belegen. Die weltweite Vorreiterrolle Österreichs hinsichtlich dieser Gesetze ist mittlerweile zwar anerkannt, doch die Maßnahmen wie polizeiliche Wegweisung, Betretungsverbot und einstweilige Verfügung waren in den Anfangszeiten ihrer Einführung zunächst umstritten.

Mit dem am 1. Jänner 2016 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz wurde der strafrechtliche Schutz vor Gewalt, insbesondere sexueller, erweitert. Zu diesen Änderungen zählen u.a. der eigene Straftatbestand für “Zwangsheirat”, die Ausdehnung von Definitionen wie “sexuelle Belästigung” und “schwere Körperverletzung” sowie der neue Straftatbestand “Cybermobbing”.

Gewaltschutzzentren und Co. in jedem Bundesland

Opferschutzeinrichtungen wie Gewaltschutzzentren bzw. Interventionsstellen wurden in jedem Bundesland installiert. Nach einem Polizeieinsatz wird die gefährdete Person von diesen kontaktiert. Wichtige Anlaufstellen für Frauen, die häusliche Gewalt erfahren haben, stellen auch nach wie vor die Frauenhäuser dar – überparteiliche und überkonfessionelle Einrichtungen, die betroffenen Frauen und ihren Kinder schnelle und unbürokratische Hilfe bieten.

Die Frauenhäuser in Österreich sind in zwei Vereinen organisiert: im Verein AÖF (Autonome Österreichische Frauenhäuser), der seit 1988 das Netzwerk der autonomen Frauenhäuser in Österreich bildet, sowie seit 2013 im Verein ZÖF (Zusammenschluss Österreichischer Frauenhäuser). Im Jahr 2016 wurden von den 26 Frauenhäusern beider Vereine insgesamt 3.261 Personen betreut, davon waren 1.588 Frauen und 1.673 Kinder.

Frauen flüchten vor familiärer Gewalt

Im vergangenen Jahr flohen gemäß Angaben des AÖF insgesamt 78 Prozent der Frauenhausbewohnerinnen vor der Gewalt durch ihren Ehemann oder ihren Partner in ein autonomes Frauenhaus. In 57 Prozent der Fälle ging die Gewalt vom Ehemann aus, in 21 Prozent der Fälle vom Lebensgefährten und in fünf Prozent vom Ex-Partner.

Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in einem Frauenhaus betrug 2016 elf Tage. Ein knappes Drittel der aufgenommenen Frauen (29 Prozent) blieb zwischen vier Tagen und einem Monat, für ein weiteres Drittel dauerte der Aufenthalt zwischen einem und sechs Monaten. 15 Prozent der Frauen nutzten ein Frauenhaus für einen bis drei Tage. Neun Prozent blieben länger als ein halbes Jahr. Etwas mehr als die Hälfte der Frauen (52 Prozent) kehrte nach dem Aufenthalt in einem Frauenhaus im vergangenen Jahr nicht mehr zum Gewalttäter zurück.

In der österreichischen Kriminalstatistik werden Fälle von häuslicher Gewalt quantitativ nicht als solche erfasst. Denn bei Gewaltdelikten wird nicht angeführt, ob der Tatbestand beispielsweise vom Ehepartner des Opfers begangen wurde.

Gewalt an Frauen: Gesellschaftliche Auseinandersetzung fehlt

Die Schuld für an Frauen begangenen Gewalttaten wird oft den Opfern selbst gegeben (Victim Blaming). Das kritisierte Rosa Logar im Rahmen eines Interviews mit der APA. Außerdem finde noch immer keine adäquate gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt gegen Frauen statt, so die Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie.

Größere Kampagnen zur Bewusstmachung, dass Gewalt gegen Frauen im gesellschaftlichen Konsens unerwünscht ist, wie es solche etwa gegen Schnellfahren oder Alkohol am Steuer gebe, fehlen, kritisierte Logar. Die mediale Auseinandersetzung mit dem Thema hänge sehr oft vom Anlassfall ab. Meist setzen sich engagierte Journalistinnen oder Politikerinnen zur Wehr, weil sie selbst von Hasspostings oder sexueller Gewalt betroffen sind. Es sei eigentlich immer die Initiative der Betroffenen. “Die soll nicht so zickig sein”, heiße es dann nicht selten, wenn Frauen und Mädchen Gewaltdelikte öffentlich machen. “Das ist ein Schlagabtausch, der im wahrsten Sinne des Wortes auf die betroffenen Frauen zurückfallen kann”, warnte Logar.

Victim Blaming als massives Problem

In der Realität sei das sogenannte Victim Blaming ein massives Problem. Es komme, so Logar, daher, dass “wir die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft einfach noch nicht haben. Wir haben sie am Papier und wir glauben, dass wir sie haben. Bis zu einem gewissen Grad werden Frauen als Sexualobjekte gesehen und nicht als eigenständige Menschen. Gewisse Dinge, wie Gewalt, Übergriffe oder sexuelle Belästigung, werden ihnen zugemutet, einfach weil sie Frauen sind. Es wird in Kauf genommen, dass das zum Alltag gehört.” Begrüßenswert wäre es, wenn mehr Männer offen gegen Victim Blaming auftreten würden.

Im Zuge von Gerichtsverhandlungen komme es ebenfalls häufig zu einer Täter-Opfer-Umkehr, sagte Logar. “Da steht es schnell im Mittelpunkt, was das Opfer getan hat. Der Frau wird unterstellt, die Ursache zu sein, wenn ihr Gewalt angetan wurde.” Das sei ein komplettes Abgeben der Verantwortung, das zu tun, womit man auch Macht und Kontrolle ausüben kann.

Nicht nur bei “bestimmten Gruppen wie Migranten und Flüchtlingen”

Die Problematik der Gewalt gegen Frauen sei außerdem nicht an “bestimmte Gruppen wie Migranten und Flüchtlinge” geknüpft, die “dazulernen müssen. Das greift zu kurz, denn auch wir haben das Problem der Gewalt in der Familie. Auch die sogenannte g’sunde Watschen ist bei uns noch nicht eliminiert.”

In den letzten 40 Jahren sei hierzulande in Sachen Sensibilisierung zwar “einiges gelungen”, dennoch brauche es noch Zeit. Migranten und Flüchtlinge kämen hingegen oft aus Gesellschaften, in denen das Thema noch nicht einmal aufgegriffen worden ist. “Arroganz ist hier nicht angebracht. Vielmehr wäre es wichtig zu sagen, wir haben dieses Problem in größerem oder geringerem Ausmaß alle – schauen wir gemeinsam, wie wir daran arbeiten können.”

Umgang der Medien mit Gewalt an Frauen

Die Medien gehen mit dem Thema Gewalt an Frauen unterschiedlich um. Logar sieht und schätzt Berichterstattung in Österreich, die sehr verantwortungsvoll mit der Thematik umgeht und nicht nur spektakuläre Fälle aufgreift. “Es gibt natürlich auch Medien, die sich abgesehen vom Anlassfall nicht interessieren und dort eher sensationsgesteuerte Berichterstattung machen, die leicht auf Kosten der Opfer geht. Der Umgang mancher Medien mit den Opfern ist erbarmungslos”, sagte Logar und prangert zudem die Verwendung von Stereotypen an. Letztlich dürfe die Verantwortung für eine Gewalttat jedenfalls nie auf das Opfer übertragen werden.

Mehr zu Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen in Österreich lesen Sie hier.

(apa/red)

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