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Gehirnforscher: "Schulsystem tötet Entdeckungslust der Kinder ab"

Kritik am Schulsystem: "Die Kinder werden funktionalisiert"
Kritik am Schulsystem: "Die Kinder werden funktionalisiert" ©bilderbox.at
Aus Sicht der Gehirnforschung ist unser Bildungssystem "auf dem falschen Weg", sagt der Neurobiologe Gerald Hüther von der Universität Göttingen. In den Schulen werde "die Entdeckungslust und die Gestaltungsfreude der Kinder abgetötet."

Damit das Gehirn in der Kindheit die “hochkomplexen Verschaltungen” für spätere Leistungen wie Motivation, Impulskontrolle, soziale und emotionale Kompetenz ausbilden könne, müssten Kinder möglichst viele unterschiedliche Erfahrungen sammeln, geleitet von Menschen, denen sie vertrauen. Stattdessen werde in der Schule “versucht, die Gestaltungslust der Kinder in von uns vorgegebene Bahnen zu lenken. Dadurch wird aber die Entdeckungslust und die Gestaltungsfreude der Kinder abgetötet.”

“Kindergehirne sind formbarer – und deshalb auch verformbarer – als das selbst die Gehirnforscher noch bis vor wenigen Jahren geglaubt hatten”, betont Hüther, der sich u. a. mit dem Einfluss von frühen Erfahrungen, Angst und Stress auf die Hirnentwicklung beschäftigt. Zwar seien nach neuesten Erkenntnissen der Neurobiologie noch bis ins hohe Alter neue Verschaltungen möglich, doch in der Kindheit werde das Fundament gelegt: “Und wenn das wackelt, kann man keine großen Schlösser mehr darauf bauen”.

Hüther sieht “Vertrauen als Voraussetzung für die Entfaltung kreativer Potenziale”, wie er bei seinem gleichlautenden Vortrag heute, Freitag, Nachmittag im Rahmen der Alpbacher Technologiegespräche ausführen wird. Derzeit gingen hingegen laut Umfragen 40 Prozent der Kinder mit Angst in die Schule, schon in der Volksschule gebe es wegen des großen Drucks Fälle von “Burn Out”. Auch die steigende Zahl übergewichtiger und computersüchtiger Kinder oder magersüchtiger Mädchen führt Hüther darauf zurück. “Die Kinder werden funktionalisiert für ein Wirtschaftssystem und eine Kultur, die wir Erwachsenen geschaffen haben”.

Mit seinen Erkenntnissen will Hüther “denjenigen Kräften den Rücken stärken, die sich um eine neue Kultur in den Schulen bemühen” und fordert einen grundsätzlichen Wandel im Bildungssystem, “von der Dressurschule zur Entfaltung”. Kinder dürften nicht mehr länger in gute und schlechte aussortiert und so deren “unterschiedliche Fundamente festgeschrieben” werden. Durch den steigenden Bedarf nach qualifizierten Mitarbeitern könnte unsere Gesellschaft es sich “nicht mehr leisten, dass die Hälfte frustriert und in den Lernbedingungen gehemmt ist und nicht mehr lernen will”.

Vorbildliche Schulen müssten, “für die Schüler einen so hohen Wert besitzen, ihnen so wichtig und wertvoll sind, dass die Kinder weinen, wenn die Ferien beginnen”. Voraussetzung dafür sei ein anderes Lernklima und Lehrer, die ihre Schüler mögen und sich nicht nur als Dienstleister verstehen, und die nicht nur von ihrem Fach begeistert sind, sondern auch von der Möglichkeit den Stoff zu vermitteln begeistert sind. Heute würden viele Unternehmen klagen, dass der Innovationsgeist der Mitarbeiter verloren gehe. “Das ist das Ergebnis dessen, was das heutige Schulsystem produziert: Leute, die nicht mitdenken wollen.”

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