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Geheimprogramm PRISM: US-Regierung zapft Rechner von Internet-Firmen an

©AP
Datenschützer warnten schon lange, dass US-Behörden sich ganz legal Zugriff auf alle Informationen bei amerikanischen Internet-Konzernen verschaffen können. Doch ein geheimes Dokument lässt eine Dimension der Überwachung vermuten, die kaum jemand für möglich hielt.

Stimmten sie doch, die Verschwörungstheorien, dass alle Daten bei amerikanischen Internetkonzernen direkt beim US-Geheimdienst landen können? Wenn die Fakten einer von der “Washington Post” und dem britischen “Guardian” enthüllten geheimen Präsentation des Militärnachrichtendienstes NSA stimmen, hat die NSA Zugriff auf Massen von E-Mails, Fotos, Videos und sonstiger gespeicherter Daten führenden US-Internetformen.

Auf diese Weise verschafften sie sich unter anderem Zugang zu Videos, Fotos, E-Mails, Dokumenten und Kontaktdaten. Dadurch seien Analysten in der Lage, die Bewegungen und Verbindungen von Personen über längere Zeiträume hinweg zu verfolgen.

US-Geheimdienste zapfen Facebook & Co. an

Wie die “Washington Post” am Donnerstag berichtete, arbeiten die Unternehmen Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, PalTalk, AOL, Skype, YouTube und Apple wissentlich als Teil des PRISM-Programms mit dem Nachrichtendienst NSA und der Bundespolizei FBI zusammen. Es bleiben allerdings viele Fragen offen.

Internetnutzer weltweit im Fokus der NSA

US-Geheimdienstkoordinator James Clapper räumte in einer Reaktion immerhin ein, dass sich die Berichte über das geheime Programm “PRISM” auf eine tatsächliche Datensammelaktion beziehen. Sie richte sich nur gegen Bürger anderer Länder, die sich außerhalb der USA aufhielten, betonte er. Diese Erklärung mag auf das US-Publikum zielen – ist aber nicht gerade beruhigend etwa für Europäer. Die Berichte enthielten “zahlreiche Ungenauigkeiten”, schrieb Clapper – nannte sie aber nicht.

Dokumente zugespielt

Der “Washington Post” liegen nach eigenen Angaben Dokumente und PowerPoint-Vorlagen zu dem bisher streng geheimen Programm vor. Diese seien der Zeitung von einem Geheimdienstmitarbeiter zugespielt worden, der über die nach seiner Sicht grobe Verletzung der Privatsphäre der Nutzer entsetzt gewesen sei. “Die können im wahrsten Sinne des Wortes sehen, wie Sie beim Tippen Ihre Gedanken ausformulieren”, wurde der Insider zitiert. Wer als Kongress-Abgeordneter von dem Programm wisse, unterliege einer Schweigepflicht.

Die “Washington Post” und “Guardian” veröffentlichten unter anderem mehrere Seiten mit Grafiken aus einer Präsentation, die den Fluss an Informationen an den US-Geheimdienst NSA im Rahmen eines Programms mit dem Namen “PRISM” zeigen. Aus der Präsentation geht hervor, dass die Daten-Sammlung Schritt für Schritt auf immer mehr Internet-Unternehmen ausgeweitet wurde.
So sei Microsoft seit 2007 darunter, Yahoo seit 2008, Google und Facebook seit 2009 und Apple seit Oktober 2012. Es gehe um eine Fülle an Informationen wie etwa E-Mails, Fotos, Videos, Chats und gespeicherte Daten. Dadurch seien Analysten in der Lage, Aktivitäten von Personen über längere Zeiträume hinweg zu verfolgen.

Zu striktem Stillschweigen verpflichtet

Das “PRISM”-Programm mit dem Code-Namen sei streng geheim, schrieben die Zeitungen. Die wenigen Washingtoner Kongressmitglieder, die davon wüssten, seien zu striktem Stillschweigen verpflichtet. Geheimdienst-Koordinator Clapper betonte in einer Reaktion, die Berichte bezögen sich auf ein Programm, bei dem Daten über Bürger anderer Länder außerhalb der USA gesammelt würden. Er nahm keine Stellung zu Details und kritisierte, dass die Veröffentlichung die Arbeit der Geheimdienste erschwere.

Regierungsmitarbeiter bestätigt

In US-Kreisen wurde die Existenz des Programms bestätigt. Ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, erfasst würden nur die Daten von Nicht-US-Bürgern, die außerhalb des Landes lebten. Der Kongress habe das Programm jüngst “nach ausführlichen Anhörungen und Debatten” verlängert.

Geheimprogramm unter Bush ins Leben gerufen

Der Zeitung zufolge wurde PRISM (dt. “Prisma”) 2007 unter Präsident George W. Bush ins Leben gerufen und von dessen Nachfolger Barack Obama ausgebaut. In den vergangenen sechs Jahren sei die Nutzung exponentiell gewachsen und inzwischen die Grundlage für jeden siebenten Geheimdienstbericht. “Die Berichte der NSA stützen sich zunehmend auf PRISM”, zitierte die Zeitung aus den Unterlagen. Der Zugang zu den Servern stelle heute die umfangreichste Quelle für die täglichen Berichte des Präsidenten dar. Diese hätten im vergangenen Jahr in 1.477 Einträgen PRISM-Erkenntnisse zitiert.

Microsoft erster “Partner im Privatsektor”

Microsoft nahm 2007 als erster sogenannter “Partner im Privatsektor” am Programm teil, hieß es weiter. Apple verweigerte demnach fünf Jahre lang die Mitarbeit, bevor der Konzern auch beigetreten sei. Zwar sei PalTalk ein deutlich kleinerer Dienst als die anderen. Er sei jedoch während des Arabischen Frühlings und des Bürgerkriegs in Syrien rege genutzt worden. Der Online-Speicherdienst DropBox solle “in Kürze” dazustoßen. Twitter war auf der Liste nicht vertreten.

“Wir haben noch nie von PRISM gehört”

Die Unternehmen erklärten, es gebe keine “Hintertür” zu ihren Servern und Daten würden an Behörden nur auf der Basis eines Gerichtsbeschlusses übergeben. Dieses Verfahren ist bekannt, Google etwa veröffentlicht in seinen Transparenz-Reports regelmäßig eine Statistik zu solchen Anfragen. “Wir übergeben Daten der Regierung in Einklang mit dem Gesetz, und wir prüfen alle solchen Anfragen gründlich. Von Zeit zu Zeit wird behauptet, dass wir für die Regierung eine “Hintertür” zu unseren Systemen geschaffen haben, aber Google hat keine Hintertür, über die die Regierung Zugriff auf private Daten der Nutzer hat”, sagte jetzt Sprecher Kay Oberbeck.

Das weltgrößte Online-Netzwerk Facebook gab eine ähnliche Erklärung ab: “Wir gewähren keiner Regierungsorganisation direkten Zugang zu Facebook-Servern.” Jede Anfrage nach Daten oder Informationen zu bestimmten Personen werde gründlich nach der Gesetzeslage geprüft und nur soweit wie rechtlich nötig erfüllt. Man habe bis zu den Berichten nichts von einem solchen Programm gehört, sagte eine Sprecherin.

Auch Apple erklärte, nie von PRISM gehört zu haben. “Wir geben keiner Regierungsbehörde direkten Zugang zu unseren Rechnern. Und jede Regierungsbehörde, die Kundendaten anfordert, muss eine entsprechende Gerichtsanweisung haben”, sagte ein Sprecher dem “Wall Street Journal”-Blog “All Things D”.

Microsoft betonte ebenfalls, man gebe Daten von Kunden nur auf Grundlage von rechtlich bindenden Forderungen weiter. “Wenn die Regierung ein breiter angelegtes nationales Sicherheitsprogramm zur Sammlung von Kundendaten hat, nehmen wir nicht daran teil”, hieß es in einer vom Blog “TechCrunch” veröffentlichten Erklärung. Auch Yahoo erklärte: “Wir gewähren der Regierung keinen direkten Zugang zu unseren Servern, Systemen oder Netzwerk.”

Clapper verurteilt Veröffentlichung

Der nationale Geheimdienstkoordinator der USA, James Clapper, verurteilte die Veröffentlichung geheimer Gerichtsdokumente, die die Telefondaten-Sammlung belegen. Die unerlaubte Publikation des hoch geheimen Dokuments durch den “Guardian” drohe, die Fähigkeit der Sicherheitsdienste zur Identifizierung von Bedrohungen “lang anhaltend und unumkehrbar zu gefährden”, erklärte Clapper am Donnerstag (Ortszeit).

Überwachung: Für Kritiker nicht überraschend

Die Berichte über den Umgang der US-Regierung mit dem Datenschutz kommen für Kritiker nicht überraschend: Obama wurde schon vorher ins Visier genommen, weil sich seine Regierung heimlich Telefon-Daten von Journalisten der Nachrichtenagentur AP und zu E-Mails eines Fox-Fernsehreporters verschaffte. (APA; red.)

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