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Gedenken an Novemberpogrome: "Wir haben zu lange weggesehen"

Auch Alexander Van der Bellen gedachte der Novemberpogrome.
Auch Alexander Van der Bellen gedachte der Novemberpogrome. ©APA/BUNDESHEER/CARINA KARLOVITS
Bei einem Gedenken an die Novemberpogrome in Wien mahnt Außenminister Schallenberg zur IKG-Präsident Deutsch bei Gedenken an Novemberpogrome 1938: "Am Anfang steht immer der Hass"
Das Ende der Wiener Synagogen

"Österreich hat sich zu lange selbst ausschließlich als Opfer des Nationalsozialismus betrachtet." Dieses Bekenntnis gab am Freitag Außenminister Alexander Schallenberg bei einem Gedenkakt an die Novemberpogrome gegen jüdische Mitbürger im November 1938 im Jüdischen Museum in Wien ab.

"Zu viele standen im März 1938 am Heldenplatz und haben mitgejubelt", erklärte Schallenberg. "Die abscheulichen Gräueltaten und Verbrechen, die vor 81 Jahren in Deutschland und Österreich begangen wurden, machen uns bis heute zurecht beschämt und betroffen."

"Wir haben zu lange weggesehen"

"Zu viele haben zugeschaut und mitgemacht, als ihre Mitmenschen beraubt, vertrieben und ermordet wurden. Wir haben zu lange weggesehen, bis wir uns der Täterrolle und unserer daraus wachsenden historischen Verantwortung bewusst geworden sind."

Erstmals habe sich der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) 1991 bei seiner Rede an der Hebräischen Universität Jerusalem zur historischen Verantwortung Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus bekannt, erinnerte Schallenberg. "Wir anerkennen kollektive Verantwortung, Verantwortung für jeden von uns, sich zu erinnern und Gerechtigkeit zu suchen", seien die Worte damals gewesen.

Es reiche jedoch nicht, sich der Verantwortung für Taten bewusst zu sein, erklärte Schallenberg bei dem Festakt. "Wir müssen uns auch der Verantwortung für Unterlassungen bewusst sein. Wir dürfen nicht schweigen, wenn antisemitisch motivierte Gewalttaten auf europäischem Boden begangen werden. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn sich mehr und mehr Jüdinnen und Juden in Europa unsicher fühlen." Nur wenn Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt in Sicherheit und Freiheit leben können, könne aus einem "niemals vergessen" ein "nie mehr wieder" werden.

Staatsbürgerschaft für Shoah-Nachkommen

Umso mehr sei es "unsere Aufgabe, jüdisches Leben in Österreich und in Europa aktiv zu schützen sowie klar und ohne Wenn und Aber gegen jede Form von Antisemitismus aufzutreten". Dabei dürfe es keine falschen Kompromisse oder falsche Scheu geben. "Unsere historische Verantwortung endet dabei weder an der österreichischen noch an der europäischen Grenze. Unsere Verantwortung umfasst auch unser Verhältnis zum Staat Israel und zu seiner Sicherheit."

Schallenberg betonte, dass der österreichische Nationalrat kürzlich eine Gesetzesnovelle beschlossen hat, die es Nachkommen von österreichischen Opfern der Shoah ermöglicht, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen. "Ich hoffe, dass mit dieser Entscheidung und mit seiner lebendigen Gedenkkultur Österreich seiner historischen Verantwortung ein kleines Stück gerechter wird."

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, erinnerte daran, dass in jener Nacht des 9. auf den 10. November "der Judenhass in Mord eskalierte." Allerdings erlebe die jüdische Gemeinde auch heute "Antisemitismus jeden Tag", erklärte Deutsch und warnte: "Am Anfang steht immer der Hass." Deutsch erinnerte auch an die Kindertransporte, die zahlreiche jüdische Mädchen und Buben ins Ausland und damit in Sicherheit brachten. Aber:"Viele sahen ihre Eltern aber nicht wieder."

Synagogen in Wien zerstört

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 kam es im nationalsozialistischen Deutschland, zu dem damals auch Österreich gehörte, zur Reichspogromnacht. Synagogen brannten, jüdische Geschäfte wurden zerstört sowie Juden deportiert und ermordet.

Auslöser war ein Attentat, das der 17-jährige polnische Jude Herschel Grynszpan zwei Tage zuvor in der deutschen Botschaft in Paris auf den Diplomaten Ernst vom Rath verübt hatte.

Die Nationalsozialisten nahmen diese Tat als Vorwand, um gegen die ohnehin schon diskriminierten Juden vorzugehen, die angeblich das Deutsche Reich bedrohten. Hunderte wurden ermordet. Rund 30.000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt. Aus Österreich kamen 3.755 - die meisten davon aus Wien - nach Dachau. Es handelte sich aber nur um ein Vorspiel zum Holocaust, der sechs Millionen Juden das Leben kosten sollte.

(APA/red)

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