Natürlich wäre alles nicht denkbar ohne die jüngsten Erkenntnisse über geplante Bombenattentate islamischer Fundamentalisten und nicht ohne die Terrorerfahrung aus dem Juli 2005, als in London 50 Menschen starben.
Doch plötzlich haben sich im traditionell liberalen Großbritannien latente Ängste vor Überfremdung Bahn gebrochen. In Teilen der Öffentlichkeit herrscht ein offen ausländerfeindliches Klima: Eine Auswahl der Schlagzeilen vom Boulevard: „Stoppt die Flut der Einwanderer“ („Daily Star“), „Hallo! Wir kommen um euch auszurauben!“ („The People“), „HIV-Kinder bringen Zeitbombe nach Britannien“ (Sunday Express“), „Osteuropäische Einwanderer lassen Arbeitslosigkeit auf Sechs-Jahres-Hoch steigen“ („Daily Mail“).
Angst vor Terroristen und Furcht vor dem ökonomischen Abstieg haben sich verbündet: Das Thema Ausländer, Rassismus und Integration bestimmt plötzlich die Titelseiten auch der seriösen Medien. „Ist Multi-Kulti fehlgeschlagen?“ fragt ganz offiziell die für Lokales zuständige Ministerin Ruth Kelly.
Was war passiert? Zunächst hatte die Regierung einräumen müssen, dass sie sich verschätzt hat: 427.000 Arbeitskräfte aus Osteuropa sind seit der EU-Erweiterung 2004 ins Vereinigte Königreich gekommen, die Hälfte davon Polen, und nicht 15.000 pro Jahr, wie vorausgesagt worden war. Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit auf dem höchsten Stand seit 2000.
Die Debatte ist auch aus Deutschland bekannt: Nehmen uns die Ausländer die Arbeitsplätze weg? Besonnene Stimmen mahnen: „Wir können die Einwanderer nicht dafür bestrafen, dass sie für Löhne arbeiten, die uns zu niedrig sind, die für sie aber viel höher sind als in ihren eigenen Ländern“, sagt der frühere Chef des Industrieverbandes CBI, Sir Digby Jones.
Dennoch wird jeden Tag die Forderung lauter, den Zufluss von Osteuropäern zu begrenzen, vor allem dann, wenn im nächsten Jahr auch Rumänen und Bulgaren in die EU kommen. Dabei sind die Briten längst an Polen und Litauer, Tschechen und Slowaken gewöhnt: Auf dem Bau, als Busfahrer und Kindermädchen gehören die Zuwanderer schon lange zum Alltag. Sie gelten als freundlich, fleißig und unauffällig.
Szenenwechsel: Der jüngste Terroralarm war gerade ein Woche alt, da zwangen die Passagiere eines britischen Ferienfliegers vor dem Rückflug aus Malaga zwei Mitreisende, die Maschine wieder zu verlassen – die beiden Männer sahen asiatisch aus und hätten arabisch gesprochen. Die Besatzung beruhigte nicht etwa die Passagiere und wies auf die strengen Kontrollen hin, sondern gab dem Druck nach. „Das ist nichts anderes als die Herrschaft des Mobs“, meint dazu der liberale „Independent“. Kommt es so weit, dass wir nicht Terroristen, sondern Moslems generell als unsere Feinde ansehen?
Und noch eine seltsame Nachricht, für manche Briten die wichtigste: Das Cricket-Länderspiel zwischen England und Pakistan in London wurde abgebrochen, weil der Unparteiische den Gästen vorwarf, sie hätten den kleinen roten Ball manipuliert. Die Pakistanis waren so erbost, dass sie nach der obligatorischen Teepause nicht mehr aufs Spielfeld zurückkehrten. Britisch-pakistanische Cricket-Beziehungen haben eine lange konfliktreiche Geschichte, wie das Verhältnis der muslimischen Ex-Kolonie zum Mutterland insgesamt.
Auch die vielen hunderttausend aus Pakistan stammenden Briten waren wütend. Sie fühlen sich ohnehin als Opfer der jüngsten Großfahndung gegen islamistische Terroristen, sehen sich unter Generalverdacht wegen ihres Aussehens, ihrer Herkunft und ihrer Religion. Eine Karikatur im „Independent“ bringt es auf den Punkt: In einem Flugzeug deuten erboste Passagiere auf einen bärtigen Cricketspieler und rufen: „Schmeißt ihn von Bord. Er sieht aus wie einer, der den Ball manipuliert.“ Im Hintergrund glimmt längst unbeobachtet eine Handgranate.