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Früh "Leseanker" setzen

(VN) Dornbirn - Vater und Sohn Seidler über frühe Leseerfahrung und bücherlose Tage.

Dies ist ein Gipfeltreffen. Nicht nur, weil es im Dachgeschoss der Dornbirner Stadtbücherei stattfindet. Dort, wo Wolfgang Seidler früher Leseabenteuer veranstaltet hat. „Manche Kinder stubsten mir Bleistifte in den Rücken“, erinnert sich der Rhetoriktrainer, „andere wiederum krochen ganz nah heran und sperrten Mund und Augen auf. Bei denen hat man auch zu Hause gelesen.“

Leseerinnerungen

Nein, das Gipfeltreffen beruht auf der Tatsache, dass die Leselust vieler Kinder in frühen Jahren rasch ansteigt, mit zehn, elf Jahren ihren Gipfel erreicht und dann jäh abstürzt. Wie bei Daniel. Der ist 15. Wolfgang Seidlers Sohn. Dann und wann wandert sein Blick rüber zu den Kinderbüchern, die der Vater mitgebracht hat. Die kennt er alle noch. „Muss ich mit aufs Foto?“ Gut, die Kollegen lesen’s eh nicht. Denn mit Vater und Kinderbuch abgebildet werden, ist mit 15 nicht wirklich erstrebenswert.

Immerhin: Daniel hat einen Harry-Potter-Band hinter sich und aus den letzten Hauptschultagen Spurenelemente des „Zauberlehrlings“ noch im Kopf. „Andorra“ von Max Frisch kam in der Klasse nicht so gut an. Nachrichten konsumiert er im Internet. Täglich. Da haben Mutter und Vater offenbar so viele Anknüpfungspunkte geschaffen, dass die bücherlose Zeit dereinst wohl enden wird.

Abends vorgelesen

Wolfgang Seidler hat alle Lektüre aus Kindertagen behalten. Das Buch „Irgendwie Anders“ hat er – Gott allein weiß, wie oft – abends vorgelesen. Das heißt, er hat das Bilderbuch erzählt. „Bücher“, sagt Seidler, „müssen leben.“ In manchen seiner Seminare bittet er die Teilnehmer darum, ein Buch ihrer Wahl mitzubringen. „Dann sollen sie den Inhalt erarbeiten und daraus vorlesen.“ Viele wissen anschließend gar nicht mehr, was sie gelesen haben. So sehr waren sie auf den Akt des Lesens konzentriert.

„Irgendwie Anders“

„Irgendwie Anders“ handelt von Ausgrenzung und Fremdartigkeiten. Der Hauptdarsteller ist eine Art blauer Bär mit zerfledderten Haaren, der aussieht wie Kurt Sowinetz. Den kennt Daniel nicht. Dafür ist er zu jung. Aber die Geschichte fällt ihm wieder ein. Und noch ehe der Vater das Buch durchgeblättert hat, trifft „Irgendwie Anders“ auf das „Etwas“, grenzt es selber aus, wie es ihm einst erging, merkt, welche Fehler er begeht, und am Ende steht der Satz: „Sie rückten einfach ein bisschen zusammen.“

Wegen diesem Satz hat Wolfgang Seidler das Buch behalten und setzt es bei Erwachsenen ein. Diesen Satz hat sich Daniel gemerkt. Und so stehen Vater und Sohn am Ende des Gesprächs kurz gemeinsam auf dem Lesegipfel von einst. Schauen sich um. Und kommen sicher bald wieder. Mit dem Lesen ist es wie mit dem Fahrradfahren: So was verlernt man nicht. Wär’ auch schade, oder?

ZUR PERSON: Wolfgang Seidler
Geboren: 1964 in Hohenems
Ausbildung: Handelsakademie Lustenau, Gendarmerieschule, Sicherheitsakademie
Laufbahn: Seit 2002 selbstständiger Trainer für Rhetorik, Kommunikation und Präsentation
Familie: verheiratet, zwei Kinder

Lesespaßpass

Die VN geben in 80 Büchereien des Landes diesen Sommer an Kinder und Jugendliche 15.000 Lesepässe aus. Wer sechs Bücher gelesen hat und sich das abstempeln lässt, nimmt im September an einer Verlosung teil. Es gibt tolle Preise zu gewinnen.

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