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Freisprüche für alle Angeklagten im Prozess um Sexualdelikte an Zwölfjähriger

Der Prozess um mutmaßliche Sexualdelikte endete mit zehn Freisprüchen.
Der Prozess um mutmaßliche Sexualdelikte endete mit zehn Freisprüchen. ©APA/ROLAND SCHLAGER
Am Wiener Landesgericht wurden am Freitag zehn junge Männer freigesprochen, denen sexuelle Übergriffe auf ein damals zwölfjähriges Mädchen vorgeworfen worden waren. Der Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs wurde nicht aufrechterhalten.
Prozess gestartet

Am Freitag sind am Wiener Landesgericht zehn Burschen im Alter zwischen 16 und 21 Jahren freigesprochen worden, denen geschlechtliche Handlungen mit einer damals Zwölfjährigen vorgeworfen worden waren. Die von der Anklage umfassten Vorgänge hatten sich zwischen März und Juni 2023 in Favoriten zugetragen. Zwei Angeklagten war geschlechtliche Nötigung vorgeworfen worden, allen zehn die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung.

Für einen Schöffensenat war nach zweitägiger Verhandlung weder das eine noch das andere erwiesen. Das Beweisverfahren hätte "ganz klar zu Freisprüchen geführt", bemerkte der vorsitzende Richter Daniel Schmitzberger. Die Angaben des Mädchens zu den sexuellen Kontakten mit den Angeklagten vor der Polizei und später im Rahmen einer kontradiktorischen Befragung wären "mit so vielen Widersprüchen" behaftet gewesen, "dass es nicht möglich war, zu einem Schuldspruch zu kommen". Sämtliche Angeklagte wären "in allen Punkten" freizusprechen gewesen, betonte Schmitzberger. Die Freisprüche sind nicht rechtskräftig. Die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab.

Freisprüche für alle Angeklagten nicht rechtskräftig

Die Freisprüche sind nicht rechtskräftig. Die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab. Bei der zweitägigen Hauptverhandlung hatte es sich um den bereits vierten Prozess rund um das bedauernswerte Schicksal der Zwölfjährigen gehandelt, das reges öffentliches Interesse geweckt und politische Forderungen nach Strafverschärfung für Sexualstraftäter laut werden hatte lassen. Ein 16-Jähriger wurde im vergangenen November vom Vorwurf der Vergewaltigung in einem Parkhaus rechtskräftig freigesprochen. Für das Gericht war "eindeutig" erwiesen, dass es sich dabei um "völlig einvernehmlichen" Sex gehandelt hatte. Ebenfalls von einer behaupteten Vergewaltigung in einer Parkgarage wurde Anfang Jänner ein 17-Jähriger rechtskräftig freigesprochen. Dieses Gericht kam zum Schluss, der Bursch habe davon ausgehen können, "dass sie das freiwillig gemacht hat".

Einzig der Ex-Freund des Mädchens wurde im vergangenen März zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil der Altersunterschied zwischen dem Paar zu groß und der einvernehmliche Sex daher strafbar war. Dabei hatte der damals von der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) betreute Bursche mit einem MA 11-Mitarbeiter sogar eine Rechtsberatung aufgesucht und sich erkundigt, ob er als 16-Jähriger mit einer 13-Jährigen intim werden dürfe. Seitens der Rechtsberatung wurde das fälschlicherweise bejaht, wie im Prozess gegen den inzwischen 18-Jährigen zutage trat.

Freisprüche für alle Angeklagten: Richter rechnete mit Medien ab

Der Richter rechnete ausführlich mit der medialen Berichterstattung in diesem Fall ab, die er "sehr bedauerlich" nannte und als in Teilen falsch geißelte. Es seien Sachen berichtet bzw. behauptet worden, die sich nicht mit den Ermittlungsergebnissen gedeckt hätten. Das habe sich "zu Ungunsten der Angeklagten und des Opfers" ausgewirkt. Als Beispiel dafür führte Schmitzberger den anfänglich von Boulevardmedien getrommelten Begriff einer "Gruppenvergewaltigung" ins Treffen, was er als "absurd" titulierte. Der Richter machte weiters darauf aufmerksam, dass einige der Angeklagten zum Zeitpunkt der sexuellen Kontakte mit der damals Zwölfjährigen selbst erst 14 und damit gerade strafmündig gewesen seien.

"Es geht nicht darum, ein Exempel zu statuieren. Es geht nicht darum, ein Urteil mit abschreckender Wirkung zu fällen, sondern den Angeklagten das Unrecht ihrer Tat vor Augen zu führen", hatte die Staatsanwältin in ihrem Schlussvortrag erklärt. Sie hatte an den Schöffensenat appelliert, in diesem Fall "losgelöst von der medialen Darstellung" zu entscheiden, die von "Empörung über das Verhalten der Angeklagten" bis zu "Unverständnis gegenüber dem damals jungen Opfer" gereicht hätte.

Kein Schuldspruch trotz belastender Aussagen

Die Staatsanwältin zeigte sich von der Schuld der Angeklagten überzeugt. Das Beweisverfahren habe "keine entlastenden Umstände" erbracht, "die geeignet wären, den Tatverdacht zu widerlegen". Für die Angeklagten sei "erkennbar" gewesen, dass das Mädchen mit den sexuellen Handlungen nicht einverstanden war: "Sie haben ihre sexuelle Integrität verletzt. Sie haben ihren Willen missachtet. Sie haben sie instrumentalisiert. Sie haben das Mädchen ausgenützt." Die Betroffene habe "einfach Angst gehabt" und sich nicht getraut, sich den Burschen zu widersetzen.

Der zweite Verhandlungstag hatte mit der Einvernahme von Zeugen begonnen. Die Öffentlichkeit wurde dabei wiederum aus Opferschutzgründen sowie auf Basis von Bestimmungen im Jugendgerichtsgesetz (JGG) ausgeschlossen. Das war bereits bei der Einvernahme der Angeklagten geschehen. Auch das Video mit der Aussage der Betroffenen, die im Ermittlungsverfahren kontradiktorisch befragt worden war und der damit ein Auftritt als Zeugin bei Gericht erspart blieb, wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgespielt und erörtert.

Zugelassen war die Öffentlichkeit dann bei der Befragung des Ex-Freundes der Betroffenen, der von September 2023 bis Februar 2024 mit dem Mädchen liiert war. Er war damals 16, das Mädchen zu Beginn der intimen Kontakte 13. Weil sie noch keine 14, somit ein Kind und in rechtlicher Hinsicht unmündig war, wurde der inzwischen 18-Jährige im vergangenen März nicht rechtskräftig zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt. Obwohl der Sex einvernehmlich war, der Jugendliche das Mädchen nicht unter Druck gesetzt hatte und kein Gewaltaspekt im Spiel war, war aufgrund des Altersunterschieds der beiden der Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen erfüllt. Es gibt kraft Gesetzes zwar eine Alterstoleranz, wenn unmündige und mündige Jugendliche, die zumindest 13 sein müssen, miteinander intim werden - diese beträgt aber 36 Monate. Der Angeklagte lag von den Geburtsdaten her neun Monate über dieser Toleranzgrenze.

Ex-Freund der Betroffenen: "Sie hat sich älter gemacht"

"Sie hat sich älter gemacht. Sie hat mich angelogen", schilderte der 18-Jährige nun als Zeuge unter Wahrheitspflicht dem Gericht. Er sei zu Beginn der Beziehung davon ausgegangen, dass er und das Mädchen "ungefähr gleich alt" waren. Ihr wahres Alter habe er "selber herausgefunden", indem er auf einem Ausweis ihr Geburtsdatum sah.

In weiterer Folge habe er "im Park" von einem Angeklagten erfahren, dass etliche Burschen im vorangegangenen Frühjahr mit der zu diesem Zeitpunkt noch Zwölfjährigen "etwas gehabt (gemeint: Sex, Anm.)" hätten, berichtete der 18-Jährige. Er habe der Mutter seiner Freundin von den Tuscheleien im Park erzählt und schließlich das Mädchen mit der angeblichen Vielzahl ihrer sexuellen Kontakte konfrontiert, nachdem ihm entsprechende Videos gezeigt worden seien. Diese hätten ihn beschämt, er habe sich "schlecht gefühlt". Er sei auch von dritter Seite aufgefordert worden, Schluss zu machen, weil "so ein Mädchen" seine "Ehre verletze".

Das habe er auch angedacht, gab der 18-Jährige zu Protokoll: "Ich habe sie zur Rede gestellt." Sie habe ihm daraufhin versichert, "dass sie das (gemeint: die nun verfahrensgegenständlichen sexuellen Kontakte mit den Angeklagten, Anm.) nicht wollte" und "Angst" gehabt hätte: "Ich war mit ihr zusammen. Ich wollte es ihr glauben."

In diesem Zusammenhang wurde vom vorsitzenden Richter eine Textnachricht der Betroffenen an ihren damaligen Freund verlesen, in der sie ihn anflehte, die Beziehung nicht zu beenden. "Junge, was soll ich machen", hieß es darin, "ehrlich, es tut mir so leid wegen meiner Vergangenheit. Bitte mach nicht Schluss." Dass sie von den Angeklagten zu etwas gezwungen oder bedrängt worden wäre, ergibt sich jedenfalls aus dieser Textnachricht nicht.

Fotografierverbot im Gericht

Aufgrund medialen Fehlverhaltens - Fotografen und Kameraleute hatten sich am ersten Verhandlungstag über das Fotografier- und Filmverbot im Saal hinweggesetzt und bei geöffneter Tür in den Saal hineingeblitzt bzw. -gefilmt - durften am Freitag Personen das Landesgericht nicht betreten, die einen Fotoapparat bzw. eine Kamera mit sich führten.

Den Angeklagten - mit einer Ausnahme Jugendliche, die im Tatzeitraum teilweise selbst erst 14 waren - wird vorgeworfen, mit dem Mädchen gegen dessen erklärten Willen sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben. Das verfahrensgegenständliche Geschehen trug sich in einem Hotelzimmer, in Stiegenhäusern, einem Hobbyraum und zumindest in drei Fällen in der Wohnung eines Angeklagten zu. Bei zwei Angeklagten geht es um den Vorwurf der geschlechtlichen Nötigung, der Rest hat sich wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung zu verantworten.

Schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen nicht angeklagt

Der ursprünglich im Raum stehende Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen ist vom Tisch, wie die Staatsanwältin eingangs der Verhandlung betont hatte: "Das Ermittlungsverfahren hat nicht mit der erforderlichen Sicherheit ergeben, dass den Angeklagten bewusst war, dass das Opfer erst zwölf Jahre alt war." Ihnen wurde daher zugebilligt, dass sie mit der Betroffenen im Glauben, diese wäre bereits 14, intim wurden.

(APA/Red)

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