Freispruch für 86-Jährigen in Prozess um Mordversuch an Sohn

Die acht Geschworenen stimmten einhellig gegen den zentralen Anklagepunkt. Der Mann, der bisher ein untadeliges Leben führte und auf einen Rollator angewiesen ist, erhielt eine bedingte Haftstrafe von zehn Monaten wegen gefährlicher Drohung und Vergehen gegen das Waffengesetz. Unmittelbar nach dem Prozess wurde er entlassen.
Freispruch für 86-Jährigen in Mordprozess rechtskräftig
Der Mann war immerhin seit knapp einem halben Jahr in U-Haft gesessen. "Super!", bemerkte der 86-Jährige nach der Urteilsverkündung. Verteidiger Florian Kreiner nahm das Urteil an, auch die Staatsanwältin war damit einverstanden. Die Entscheidung ist damit bereits rechtskräftig. Der Pensionist wurde unmittelbar nach der Verhandlung enthaftet. Wie sein Rechtsvertreter erklärte, wird er zunächst zu seiner Tochter und in weiterer Folge in ein Pflegeheim ziehen. "Alles Gute! Ich hoffe, wir sehen uns nicht wieder", verabschiedete sich die vorsitzende Richterin Magdalena Klestil-Krausam von dem gebrechlich wirkenden Mann.
"I wollt' eahm nur schreck'n, i wollt' ja nur in Ruah fernschauen", hatte der Angeklagte in seiner Beschuldigteneinvernahme zum Vorwurf angegeben, er habe seinen Sohn mit einer Pistole erschießen wollen, die er illegal besaß. Der Sohn und seine Ehefrau hätten sich gegen ihn verschworen: "Die zwa hoit'n z'samm. Gegen die zwa hom's ka Chance." Die letzten zwei Jahre seien "die Hölle für mi g'wes'n".
86-Jähriger hielt Sohn Waffe an den Kopf und drückte ab
Am 29. Juli 2023 war es in dem Genossenschaftshaus des Ehepaares in Wien-Donaustadt zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn gekommen, der seit 18 Jahren nach einer Kurzzeit-Ehe samt Scheidung wieder bei seinen Eltern lebte. Laut Anklage zog der 86-Jährige in der Garage eine geladene Pistole der Marke Walther PPK, Kaliber 7,65 Millimeter aus einer Schublade, hielt diese dem Sohn gegen den Hinterkopf, rief "Jetzt erschieß ich dich!" und drückte ab. Aus Sicht der Anklagebehörde löste sich nur deshalb kein Schuss, weil der Pensionist die Waffe zu entsichern vergaß.
"Er hat gewusst, dass die Waffe gesichert ist. Er hat gewusst, es kann nichts passieren", hielt Verteidiger Florian Kreiner dem entgegen. Sein Mandant habe "nur garteln und fernsehen" wollen und habe bereits auf einen Heimplatz gewartet, weil ihn sein Sohn seit Jahren "massiv gequält und beschimpft" habe. Mit der Drohung mit der Pistole habe er dem 52-Jährigen "die Zähne gezeigt. Er wollte ihn abschrecken. Er wollte sicher nicht abdrücken und den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen", betonte Kreiner.
Feindschaft zwischen 86-Jährigem und Sohn
Sohn und Vater waren laut Anklage seit geraumer Zeit einander in inniger Feindschaft verbunden. Das Verhältnis sei "konfliktbeladen" gewesen, berichtete die Staatsanwältin: "Bis auf Gemeinheiten und Sticheleien haben sich die beiden seit Jahren nichts zu sagen." Als der Sohn Ende Juli den Vater in der Garage antraf, vermutete er, dieser habe soeben absichtlich sein dort abgestelltes Auto beschädigt. Der Vater ging demgegenüber davon aus, der Sohn habe ihm die Schlüssel für seinen E-Scooter versteckt. Die Folge waren wüste Beleidigungen und ein Polizeieinsatz, der mit der Festnahme des 86-Jährigen endete, nachdem dessen Ehefrau den von ihr alarmierten Beamten unter Tränen versichert hatte, ihr Mann habe soeben ihrem Sohn nach dem Leben getrachtet.
Sein Sohn und seine Ehefrau hätten ihm "immer ois z'Fleiß g'macht", schilderte der Angeklagte den Geschworenen. Seine Ehefrau habe ihn nicht mehr verköstigt, dafür aber seinen geliebten Malteser-Hund einschläfern lassen. Ein Mal habe sie ihm beim Fernsehen sogar einen Kübel Wasser über den Kopf geschüttet. Vom Sohn sei er unentwegt "aufs Gemeinste" beschimpft worden. Das bestätigte ein Nachbar, der im Anschluss an die Beschuldigteneinvernahme als erster Zeuge befragt wurde: "Der arme Mann ist immer geschimpft worden von der Familie. Er hat sein ganzes Leben gearbeitet." Nachdem seine Befragung beendet war, verabschiedete sich der ebenfalls hochbetagte Mann mit den Worten "Pfiat di Gott, mei Bua" vom Angeklagten.
Mutter half 86-Jährigen zu überwältigen
Im Anschluss standen die Einvernahmen des Sohnes sowie der Ehefrau des Angeklagten auf dem Programm. Verteidiger Kreiner betonte zuvor, die beiden hätten "eine symbiotische Beziehung, die nicht nachvollziehbar ist". "Mir san net guat auskemman", hielt der Sohn zum Verhältnis zu seinem Vater fest. Von Kindheit an habe es Probleme gegeben. Der Vater habe ihm die Schuld an seinen Eheschwierigkeiten gegeben. "Er is' rabiat", hielt der 52-Jährige fest, der aufgrund einer Erkrankung im Rollstuhl aussagte. Der Angeklagte habe ihn und "die Mamsch" (gemeint: die Mutter des Zeugen, Anm.) terrorisiert, etwa Kabel durchgeschnitten, Sachen demoliert und bei Gartenarbeiten im Stich gelassen.
Zum inkriminierten Geschehen bemerkte der 52-Jährige, der Vater habe ihm von hinten die Pistole gegen den Kopf gedrückt und ihm den Erschießungstod angekündigt: "Dann hab i's scho Klacken g'hört." Er habe sich umgedreht und in den Lauf der Waffe geblickt: "Mir is anders wuarn." Er habe um Hilfe geschrien, "Gott sei Dank is die Mamsch kemman". Die Mutter - 76 Jahre alt - habe ihm geholfen, "Gott sei Dank hob i schnell reagiert. Mit letzter Kraft hob i eahm überwältigt".
Die 76-Jährige stellte sich bei ihrem Zeugenauftritt eindeutig auf die Seite ihres Sohnes. "Der hat uns so viel angetan", beklagte sie sich über den Angeklagten. Das eheliche bzw. familiäre Leben sei "schrecklich" gewesen: "Mein Mann hat immer nur gestänkert, gestichelt, gestänkert, gestichelt." Die Version des Angeklagten sei unrichtig: "Seit 53 Jahren (so lange sind die beiden verheiratet, wobei es zwischenzeitlich eine Scheidung und dann eine zweite Eheschließung gab, Anm.) lügt er". Sie bekräftigte ausdrücklich ihre Angaben, die sie nach dem Vorfall gegenüber der Polizei getätigt und die ein Beamter in einem Aktenvermerk festgehalten hatte: "Mein Wunsch ist, dass der Mann für den Rest seines Lebens ins Gefängnis kommt und ich hoffe, dass ich ihn nie wiedersehen muss."
Unmittelbar nach seiner Festnahme hatte 86-Jährige den einschreitenden Polizeibeamten erklärt, er habe seinen Sohn erschießen wollen. Das habe "leider net geklappt. I bin z'bled, dass i den Hebel owedruck". Das relativierte der 86-Jährige in der Verhandlung insofern, als er damals aufgeregt gewesen sei und sich "falsch" ausgedrückt habe.
(APA/Red)