“In der damaligen Situation war es für Zehntausende Schweizer Kinder nicht nur eine gewaltige Geste der Hilfsbereitschaft. Wir Kinder haben gespürt, dass es da Menschen gibt, die es gut mit uns meinen und die uns den Glauben an die Zukunft vermitteln wollen. Wir haben das natürlich erst viel später so richtig begriffen, aber das Signal ist auf die Eltern übergesprungen und hat ihnen geholfen, wieder Hoffnung und Mut zu fassen”, erläutert der fühere Vorarlberger Militärkommandant Karl Redl den Wert der Hilfsaktion nach dem Zweiten Weltkrieg. Deshalb sei ihm eine Ehre, wenn ich mich beim Festakt namens Zehntausender Schweizer Kinder bedanken darf. Die Schiffsbrücke entsprang einer Idee der Schweizer Kinder aus Deutschland, umso bemerkenswerter ist es, dass Redl eingeladen wurde, die Dankansprache zu halten. Vielleicht auch deshalb, weil seine Geschichte ganz außergewöhnlich ist.
Koffer seines Vaters
Viele Informationen über die Zeit vor sechs Jahrzehnten kennt er erst seit einigen Monaten. Im Nachlass meines Vaters, der Ende 2006 verstorben ist, befand sich auch ein kleiner brauner Koffer mit Dokumenten, Fotos und Hunderten von Briefen, darunter auch die Korrespondenz, die zwischen der Schweizer Familie Gammer und meiner Mutter geführt wurde. In diesem Koffer habe ich auch nach über 60 Jahren den ersten Brief meines Lebens wieder gefunden. Aus der Schweiz schrieb ich, dass es mir gut geht und ich in drei Monaten wieder daheim sein werde. ,Aber ganz dickÑ, merkte ich an und wollte damit sagen, dass ich endlich genug zu essen hatte.
50 Jahre verschollen
Und weil seine Eltern die Briefe wie einen Schatz hüteten und auch nie mit ihren Kindern (auch Redls Schwester durfte 1947 für einige Monate in die Schweiz) über diese Zeit sprachen, blieb die Familie Gammer für Redl 50 Jahre lang verschollen.
Ich habe mir immer vorgenommen, diese Familie wieder aufzuspüren, und eine Einladung zur Schweizer Armeemeisterschaft im Skilauf war dann vor zehn Jahren der Anstoß dazu. Auf der Heimfahrt von Andermatt kamen wir durch den Kanton Uri und als ich das Ortsschild Schattdorf sah, war die Erinnerung mit einem Schlag wieder da.
Unbeschreiblich
Von der Familie wusste ich nur noch, dass eines der vier Kinder Röbi hieß. Er war etwa in meinem Alter und deshalb mein wichtigster Spielkamerad. Der Pfarrer hat mich dann zu den Gammers verwiesen, sie könnten das sein. Der Tipp war richtig und es gab nach 50 Jahren ein Wiedersehen, das unbeschreiblich war. Seither haben wir engen Kontakt, besuchen einander regelmäßig und tauschen Erinnerungen aus. Weil Röbis Söhne hohe Milizoffiziere sind, bekam ich sogar eine Einladung zu einem Vortrag vor höchsten Schweizer Armeekreisen, so Redl.
ZUR PERSON
Karl Redl
Geboren: 1939 in Wien
Familie: verheiratet seit 1966 mit Ute, zwei Söhne
Beruf: Militärkommandant i. R.
Laufbahn: 1958 eingerückt, Generalstabsverwendung in Salzburg und Wien, von 1985 bis 2001 Militärkommandant in Vorarlberg.