Bei der Entscheidung Deutschlands und Österreichs am Wochenende sei es um eine “humanitäre Notsituation” gegangen, das Vorgehen solle eine Ausnahme bleiben, betonte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin.
“Es ist ein Ausnahmefall, in dem wurde rasch entschieden”
Die Situation für Tausende Flüchtlinge in Ungarn habe ein unerträgliches Ausmaß angenommen gehabt. “Es ist also ein Ausnahmefall, in dem wurde rasch entschieden”, sagte Seibert. Das aber ändere nichts daran, dass sich jeder EU-Staat – so auch Ungarn – an die gemeinsamen Verpflichtungen halten müsse, sagte Seibert. Hierzu gehört in erster Linie das Dublin-Abkommen, wonach Flüchtling in dem Land ein Asylverfahren durchlaufen müssen, wo sie erstmals in die EU gelangt sind.
Der Sprecher des deutschen Innenministeriums, Harald Neymanns, sagte: “Wir gehen davon aus, dass die ungarische Seite und die österreichische Seite sich an die Verpflichtungen weiter halten.” Er machte zugleich deutlich, dass die die deutsche Regierung den Zustand nicht dauerhaft hinnehmen will: “Sollte sich an den grundsätzlichen Zahlen, die derzeit nach Deutschland kommen, nichts ändern, wird man noch mal intensive Gespräche suchen müssen.”
Die Entscheidung Merkels, den in Ungarn festsitzenden Menschen die Einreise zu gestatten, war in der CSU auf Kritik gestoßen. Lob kam dagegen von SPD und Opposition.
Notmaßnahmen: Faymann kündigt schrittweises Ende an
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hatte am Sonntagnachmittag das schrittweise Ende der Notmaßnahmen angekündigt. Es werde wieder stichprobenartige Kontrollen an den österreichischen Grenzen zu Ungarn geben, wenn der große Ansturm vorbei sei. Ein konkreter Zeitpunkt wurde nicht genannt.
16.000 Flüchtlinge kamen nach Österreich
Nach einer Bilanz des Innenministeriums kamen zwischen Freitagnacht und Montagfrüh knapp 16.000 Personen nach Österreich. Wie viele der Flüchtlinge in Österreich um Asyl angesucht haben, gab das Innenministerium auf APA-Anfrage nicht bekannt. Es handle sich um eine niedrige dreistellige Zahl.
Fast 20.000 Flüchtlinge in München angekommen
Laut Simone Hilgers, Sprecherin der Bezirksregierung von Oberbayern, waren am Wochenende am Münchner Hauptbahnhof fast 20.000 Flüchtlinge aus Ungarn via Österreich am Münchner Hauptbahn angekommen. Man gehe allein für den Sonntag von 13.000 aus, zusammen mit den 6.900 am Samstag gekommenen Flüchtlingen bedeutet das die Ankunft von fast 20.000 Menschen binnen 48 Stunden. So oder so, es waren mehr als erwartet.
“Unsere Kapazitäten schwinden”
Zunächst waren die Behörden von maximal 14.000 Menschen ausgegangen, dann aber waren weitere Züge eingetroffen. Die Schutzsuchenden wurden zum Teil in München und Bayern untergebracht, zum Teil auch in andere Bundesländer weitergeleitet. “Unsere Kapazitäten schwinden. Wir kommen an unsere Grenzen, und zwar sehr deutlich”, sagte Hilgers zur Organisation der Unterbringung.
Bayern rechnet am Montag mit bis zu 10.000 Flüchtlingen
Für den heutigen Montag rechnet die Regierung von Oberbayern mit bis zu 10.000 neuen Flüchtlingen. Allein am Vormittag und Mittag seien drei Sonderzüge aus Österreich mit 2.100 Menschen geplant, sagte Regierungspräsident Christoph Hillenbrand am Montag in der Früh auf dem Münchner Hauptbahnhof. Er hoffe, dass einige Züge an München vorbei direkt in andere deutsche Bundesländer geleitet werden. “Wir sind hier sehr am Anschlag.” Nötig seien auch bessere, grenzüberschreitende Informationen. Etwa zwei Drittel der in den vergangenen Tagen angekommenen Flüchtlinge seien bisher in Bayern untergebracht, sagte Hillenbrand.
Ziel Österreich: Weitere Gruppe zu Fuß unterwegs
Unterdessen haben sich erneut Flüchtlinge in Ungarn zu Fuß auf den Weg Richtung Österreich gemacht, wie das ungarische Staatsfernsehen am Montag berichtete. Es soll sich um Flüchtlinge aus dem Aufnahmelager Röszke an der serbischen Grenze handeln, die mit Bussen in das Lager Vamosszabadi bei Györ transportiert worden waren.
Ungarn: 200 Flüchtlinge versuchen zu fliehen
Am Sammelpunkt der ungarischen Polizei bei Röszke unternahmen am Montagnachmittag 200 Flüchtlinge einen Ausbruchversuch. Die Polizei verhinderte ihn erfolgreich. Die Flüchtlinge schrien “freedom” und bewarfen die Polizisten mit Wasserflaschen und Äpfeln, berichtete das ungarische Staatsfernsehen. Zu dem Zwischenfall habe geführt, dass die Flüchtlinge auf ihren Abtransport mit Bussen in das Auffanglager von Röszke zur dortigen Registrierung lange warten müssen.
Neue Ankunfswelle aus Serbien in Ungarn
In Ungarn trafen nach Medienberichten kontinuierlich weiterhin neue Flüchtlinge aus Serbien ein. Dort wiederum kamen über das Wochenende 4.000 weitere Flüchtlinge an, wie der serbische TV-Sender RTS unter Berufung auf Behördenangaben berichtete.
Die ungarische Polizei griff von Freitag bis Sonntag landesweit 5.386 Flüchtlinge auf, wie die ungarische Nachrichtenagentur (MTI) am Montag berichtete. Am Freitag seien es 2.181, am Samstag 1.002 und am Sonntag 2.203 gewesen. Die meisten von ihnen kamen über die Grenze zu Serbien im Raum Röszke.
Serbien fordert größere Finanzhilfe
Serbien warnte am Montag, dass seine Vorräte für Hilfe an Flüchtlinge am Ende seien. Man brauche größere Finanzhilfe, um die Richtung EU-Staaten ziehenden Flüchtlinge zu versorgen, erklärte Arbeitsminister Aleksandar Vulin gegenüber RTS.
Serbien kann nach Auffassung von Innenminister Nebojsa Stefanovic auf dem Weg in die EU zurückgewiesene “Migranten” nicht aufnehmen. Sollten Flüchtlinge von Ungarn abgelehnt werden, sollten sie von EU-Mitgliedsländern wie Griechenland oder Bulgarien und nicht von Transitländern wie Serbien und Mazedonien betreut werden, sagte Stefanovic am Montag dem Sender B92. Stefanovics Angaben zufolge kamen in den ersten acht Monaten des heurigen Jahres 120.000 Migranten durch Serbien, von denen lediglich 500 um Asyl angesucht hätten.
Frankreich nimmt rund Tausend Flüchtlinge aus Deutschland auf
Frankreich will unterdessen Hunderte über Ungarn nach Deutschland eingereist Flüchtlinge aufnehmen. Der französische Präsident Francois Hollande sagte am Montag bei einer Pressekonferenz im Pariser Elysee-Palast, er habe der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel angeboten, rund Tausend Flüchtlinge aufzunehmen. Diese sollten “in den kommenden Wochen” nach Frankreich kommen.
Deutschland erhöht Flüchtlingshilfe auf sechs Milliarden – schärfere Regeln
Angesichts der Flüchtlingskrise stellt die deutsche Regierung mehr Geld zur Verfügung, verschärft aber die Regeln für Asylbewerber teils deutlich. Die Koalitionsparteien aus Union und SPD verständigten in der Nacht auf Montag darauf, die Hilfe auf insgesamt sechs Milliarden Euro zu erhöhen. Der Kreis der “sicheren Herkunftsstaaten” wird aber um Kosovo, Albanien und Montenegro erweitert. Das geht aus einem Maßnahmenpaket hervor, das nach mehrstündigen Beratungen der Koalitionsspitzen veröffentlicht wurde. Gefordert werden darin auch mehr europäische Solidarität und die stärkere Bekämpfung von Fluchtursachen. 2015 hat der Bund eine Milliarde Euro für Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt.Für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen wollen Union (CDU/CSU) und SPD demnach im Haushalt 2016 zusätzlich drei Milliarden Euro einplanen. Genau diese Summe soll Ländern und Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Über die Details der Verwendung wollen sich Bund und Länder bei einem Spitzentreffen am 24. September einigen. An dem Treffen im Kanzleramt unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahmen die Partei- und Fraktionschefs von Union und SPD sowie mehrere Fachminister teil.
Deutsche Koalition will “Fehlanreize beseitigen”
Die Unterstützung für Asylbewerber in Erstaufnahmeeinrichtungen wollen die Koalitionspartner von Geldzahlungen auf Sachleistungen umstellen. Damit will die Koalition “Fehlanreize beseitigen”. Die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsländer soll um die Balkan-Staaten Albanien, Kosovo und Montenegro erweitert werden, wobei eine gemeinsame Liste auf EU-Ebene angestrebt wird.
Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten sollen in Deutschland grundsätzlich in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben müssen, wo mit Unterstützung des Bundes 150.000 Plätze eingerichtet werden sollen. Die Höchstverweildauer für Flüchtlinge dort soll von drei auf sechs Monate verlängert werden. Solange soll auch wieder eine Residenzpflicht gelten. Umgekehrt soll die Integration von Flüchtlingen, deren Schutzbedürftigkeit anerkannt wird, verbessert werden. Auch soll es legale Einwanderungsmöglichkeiten für Menschen aus dem westlichen Balkan geben.
EU-Plan: Deutschland soll 31.443 aufnehmen, Österreich zusätzlich 3.640
Nach dem Willen der EU-Kommission soll Deutschland im Zuge der geplanten Aufteilung von weiteren 120.000 Flüchtlingen unter den EU-Staaten 31.443 Einwanderer aufnehmen, verlautete am Montag aus Brüsseler Diplomatenkreisen. Österreich soll, wie bereits am Wochenende bekannt wurde, zusätzlich 3.640 Flüchtlinge aus Italien, Griechenland und Ungarn aufnehmen.
Damit soll Deutschland demnach ein Viertel der Gesamtzahl der Flüchtlinge übernehmen. Kommissionschef Jean-Claude Juncker will am Mittwoch seinen Plan für verbindliche Quoten offiziell vorstellen.
EU-weite Quote soll Griechenland, Italien und Ungarn entlasten
Juncker will mit der Quotenregelung vor allem Griechenland, Italien und Ungarn entlasten, die drei Länder, in denen die meisten Flüchtlinge erstmals die EU betreten. Mehrere EU-Staaten wehren sich gegen die Zuweisung von Kontingenten.
Frankreich soll nach Junckers Vorstellungen 24.031 Flüchtlinge aufnehmen. Dazu erklärte sich Staatschef Francois Hollande am Montag umgehend bereit. “Wir werden es tun”, sagte er vor Journalisten. Angesichts der Flüchtlingskrise seien “Menschlichkeit und Verantwortungsbewusstsein” notwendig. Hollande schlug zugleich eine Konferenz zu der Krise in Paris vor.
EU-Kommissionspläne zur Verteilung von Flüchtlingen
Im Folgenden eine Auflistung, welches der restlichen EU-Länder nach Angaben von EU-Insidern wie viele Flüchtlinge aufnehmen soll:
von 40.000 von 120.000 von 160.000 Belgien 1.364 4.564 5.928 Bulgarien 572 1.600 2.172 Deutschland 8.763 31.443 40.206 Estland 738 373 1.111 Finnland 792 2.398 3.190 Frankreich 6.752 24.031 30.783 Kroatien 747 1.064 1.811 Lettland 517 526 1.043 Litauen 503 780 1.283 Luxemburg 368 440 808 Malta 292 133 425 Niederlande 2.047 7.214 9.261 Österreich 1.213 3.640 4.853 Polen 2.659 9.287 11.946 Portugal 1.701 3.074 4.775 Rumänien 1.705 4.646 6.351 Schweden 1.369 4.469 5.838 Slowakei 785 1.502 2.287 Slowenien 495 631 1.126 Spanien 4.288 14.931 19.219 Tschechien 1.328 2.978 4.306 Ungarn 827 Zypern 173 274 447 GESAMT 159.169
(red/APA)