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Fliegerbomben-Sammler und Böller-Fanatiker: Der Alltag der Bombenentschärfer der Polizei

Über 4.000 Mal müssen die Entschärfer der Polizei im Jahr ausrücken.
Über 4.000 Mal müssen die Entschärfer der Polizei im Jahr ausrücken. ©APA/HANS PUNZ
Über 4.000 Mal mussten die sprengstoffkundigen Beamten im Jahr 2017 ausrücken - so oft, wie sonst noch nie. Die Funde häufen sich, auch dank der erhöhten Aufmerksamkeit der Bevölkerung.

Geräumte Flughafen-Terminals wegen unbeaufsichtigter Gepäckstücke, Großeinsätze der Polizei wegen herrenloser Koffer – die erhöhte Terrorgefahr wirkt sich auch auf die Bevölkerung aus. “Die Leute sind sensibler geworden und rufen auch öfters an”, sagte Andreas Waloschek, Sprengstoffexperte der Wiener Polizei bei einem Hintergrundgespräch am Donnerstag in Wien.

Das führt zu immer mehr Einsätzen für Entschärfer und sprengstoffkundige Beamte. “Zwischen 2013 und 2017 gab es eine Steigerung von mehr als 200 Prozent”, sagte Waloschek. Genaue Zahlen will die Polizei nicht bekanntgeben. Abhilfe schafft ein Blick in die Sicherheitsberichte der vergangenen Jahre. Wurde der Entschärfungsdienst und die sprengstoffkundigen Beamten im Jahr 2013 österreichweit noch 1.764 mal angefordert, waren es 2016 bereits 3.402 Einsatzanforderungen. Die jüngsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2017. Damals wurden die Experten bereits 4.126 mal zu Einsätzen hinzugezogen.

14 sprengstoffsachkundige Organe in Wien

Der Entschärfungsdienst (ESD) des Innenministeriums ist für das Erkennen, Entschärfen, Untersuchen und den Transport sowie das unschädlich Machen oder Aufbewahren sichergestellter Sprengstoff haltiger Gegenstände zuständig, die offensichtlich keine Relikte aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sind. Diese gehören dem Entminungsdienst des Bundesheeres. Zusätzlich zu den Entschärfern gibt es sogenannte Sprengstoffsachkundige Organe (SKO). Das sind Polizeibeamte, die in einer 14-wöchigen Grundausbildung zu Sprengstoffexperten ausgebildet werden und dabei auch in Pyrotechnik und Strahlenschutz geschult werden. Die Polizisten werden beispielsweise zu einem herrenlosen Koffer gerufen und klären die Lage für einen möglichen Einsatz der Entschärfer.

100 SKO gibt es in ganz Österreich – darunter zwei Frauen, je eine in Tirol und Kärnten, erläuterte Waloschek. Die Beamten stehen rund um die Uhr zur Verfügung, haben eine Splitterschutzausrüstung und persönliches Handwerkzeug. “In Wien gibt es 14 SKO und auch 14 Sprengmittelspürhunde.” 38 weitere SKO werden aktuell ausgebildet. Denn in den nächsten Jahren stehen zahlreiche Pensionierungen an.

Arbeit mit Robotern

Neben der Abklärung herrenloser Gegenstände oder bei verdächtigen Postsendungen werden die sprengstoffkundigen Beamten auch zu Munitionsfunden hinzugezogen. Dazu kommen Präventivaufgaben, wie beispielsweise Durchsuchungen vor Staatsbesuchen oder bei Veranstaltungen, jüngst etwa die Staatsoper vor dem Opernball.

“Wir gefährden keine Menschen. Wir schicken Maschinen vor”, erklärte Waloschek den Einsatz bei einem verdächtigem Gegenstand. Acht sogenannte Fernlenkroboter gibt es in Österreich. Die vier kleineren Telemax tragen den Spitznamen “Maxl”, die größeren heißen “Theodor”. “Die Arbeit mit den Robotern ist sehr trainingsintensiv”, sagte der Experte. Denn mit ihnen erhält man ein zweidimensionales Bild und muss sich daraus ein dreidimensionales vorstellen können.

Die Einsatzgebiete des Entschärfungsdienstes sind vielfältig. So gibt es beispielsweise auch drei Unterwasser-Entschärfer, die im Fall des Falles mit Tauchern der Cobra unterwegs sind. Die Experten verfügen auch über ein mobiles Röntgengerät, das im Wasser verwendet werden kann. Aufgrund ihrer Expertise bilden heimische Entschärfer auch internationale Kollegen aus, so etwa Beamte des jordanischen Königshauses. Österreichweit gibt es 21 Entschärfer. Sie werden zwei Jahre im deutschen Bundeskriminalamt in Wiesbaden geschult.

Fliegerbomben-Sammler und Böller-Fanatiker

Bombenattrappen mit handelsüblichen Wecker, einfach zu bauende Rohrbomben, Handgranaten aus Ex-Jugoslawien – Waleschek ist seit elf Jahren sprengstoffkundiger Beamter und hatte bereits mit so gut wie jedem explosivem Gegenstand zu tun. Er erzählt etwa von einem Kriegsrelikte-Sammler, dem die Beamten regelmäßig Besuche abstatten und ihm gefährliche Gegenstände abnehmen. “Der hatte auch schon eine 500 Kilogramm Fliegerbombe im Stadl”, schilderte Waleschek. Der Experte erzählte auch die Geschichte eines Online-Tauschhandels, bei dem jemand für Sektflaschen einen vermeintlichen Türstopper erhielt, der sich schließlich als Blindgänger entpuppte. Auch auf die große Gefahr von Pyrotechnik wies Waleschek hin. Sechs Stück derartiger Superböller sind etwa so schwer wie ein Packerl Butter und haben eine enorme Explosionskraft. Gezündet in einem Pkw blieb von diesem wenig übrig, erinnerte sich Waleschek an ein derartiges Experiment.

Sich selbst in Gefahr bringen sich häufig Hobby-Schatzsucher, die mit Metalldetektoren beispielsweise Wälder durchsuchen. Personen, die Kriegsrelikte mitnehmen, daheim ausstellen oder auch zur Polizei bringen und dort auf das Pult legen, bezeichnet Waleschek als “erlebnisorientierte Einwegentschärfer”. “Wird ein verdächtiger Gegenstand gefunden, diesen ja nicht angreifen, nicht damit hantieren”, warnte der Experte. “Am besten ein Foto machen, den Fundort markieren und 133 rufen”, sagte er.

(APA/red)

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