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Feuerpause in Mariupol angekündigt - Selenskyj skeptisch

Zivilisten sollen aus der Stadt Mariupol über einen humanitären Korridor herausgeholt werden.
Zivilisten sollen aus der Stadt Mariupol über einen humanitären Korridor herausgeholt werden. ©REUTERS/Alexander Ermochenko
Russland will am Donnerstag eine Feuerpause für humanitäre Korridore aus Mariupol einhalten. Der ukrainische Staatschef Selenskyj glaubt diese Ankündigung jedoch nicht.

Russland hat eine Feuerpause für die schwer zerstörte südukrainische Hafenstadt Mariupol angekündigt. Die Maßnahme werde am Donnerstag um 10.00 Uhr (9.00 Uhr MESZ) in Kraft treten und solle die Möglichkeit schaffen, Zivilisten über einen humanitären Korridor herauszuholen, erklärte das russische Verteidigungsministerium am Mittwoch.

Selenskyj zu Feuerpause: "Wir glauben niemanden"

Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk sprach in einem Interview mit ukrainischen Medien in der Nacht zum Donnerstag von einem weiteren Versuch russischer "Manipulation". Selenskyj sagte in seiner Ansprache: "Wir glauben niemandem, keiner einzigen schönen Phrase". Dabei bezog er sich auf die Zusicherung russischer Unterhändler vom Dienstag, Moskau werde seine Angriffe auf Kiew und Tschernihiw im Norden "radikal" zurückfahren.

Dennoch wurde Tschernihiw laut ukrainischen Behörden weiterhin beschossen. Der ukrainische Generalstab erklärte, dass er kurzfristig sogar eine "Intensivierung" des russischen Feuers erwarte. "Wir werden nichts verschenken. Wir werden um jeden Meter unseres Territoriums kämpfen", warnte Selenskyj .

Russland setzt Angriffe nach eigenen Angaben fort

Das russische Verteidigungsministerium hatte am Mittwoch eine "Umgruppierung" seiner Truppen bei Kiew und Tschernihiw bestätigt. Das Ziel der Truppenverlegung sei "vor allem der Abschluss der Operation zur vollständigen Befreiung des Donbass", hieß es.

Die russischen Truppen setzen auch eigenen Angaben zufolge ihre Angriffe im Osten der Ukraine fort. Die Ortschaft Solota Nywa südwestlich von Donezk sei nun unter russischer Kontrolle, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Donnerstag laut Agentur Interfax. Dort seien russische Einheiten seit Mittwoch sechs Kilometer vorgerückt. Bis zu 60 Gegner seien getötet worden. Diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Selenskyj bekräftigte Angaben seiner Armee, dass sich die russischen Streitkräfte nur umgruppieren würden, damit sie in der Donbass-Region im Osten stärker angreifen können. "Wir werden nichts verschenken. Wir werden um jeden Meter unseres Territoriums kämpfen", warnte der Präsident.

Teilweiser Abzug russischer Truppen um Kiew und Tschernobyl

US-Militärs sagten indes, dass die russischen Streitkräfte begonnen hätten, sich aus der Region um das stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl zurückzuziehen. "Wir glauben, dass sie abziehen, aber ich kann Ihnen nicht sagen, dass sie alle weg sind", sagte ein Pentagon-Vertreter, der anonym bleiben wollte.

Auch von der Zone um die Atomruine Tschernobyl begann laut Pentagon der Abzug. Russische Soldaten würden die Gegend verlassen und in das benachbarte Belarus abziehen, so das US-Verteidigungsministerium. "Wir glauben, dass sie abziehen, aber ich kann Ihnen nicht sagen, dass sie alle weg sind", sagte ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums, der anonym bleiben wollte. Er sprach von einer "Neupositionierung" der Streitkräfte.

Weitere Angriffe auf ukrainische Ziele

Aus zahlreichen Ortschaften in der Ostukraine wurden weitere Luftangriffe gemeldet. Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs wurde die Großstadt Charkiw mit Artillerie beschossen. Die ukrainische Armee gewann demnach die Kontrolle über eine strategisch wichtige Autobahn von Charkiw nach Tschugujew zurück. "Überall liegen russische Leichen verstreut", sagte ein ukrainischer Geheimdienstoffizier zu AFP.

Der Beschuss von Tschernihiw hält auch nach Angaben des britischen Militärgeheimdienstes an. Russische Truppen hielten weiterhin Stellungen östlich und westlich von Kiew, teilt das britische Verteidigungsministerium mit. "Vermutlich wird es in den kommenden Tagen heftige Kämpfe in den Vororten der Stadt geben." Auch Mariupol liege weiterhin unter Beschuss. Die ukrainischen Kräfte hätten das Zentrum der Hafenstadt am Asowschen Meer aber noch immer unter Kontrolle.

Kiew zur "bedingungslosen Einhaltung" der Feuerpause aufgefordert

"Damit diese humanitäre Operation erfolgreich ist, schlagen wir eine direkte Beteiligung von Vertretern des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) vor", hieß es in einer russischen Erklärung. Der humanitäre Korridor soll demnach über die unter russischer Kontrolle stehende Stadt Berdjansk ins 250 Kilometer entfernte Saporischschja führen.

Das russische Ministerium forderte die Regierung in Kiew auf, die "bedingungslose Einhaltung" der Feuerpause durch eine schriftliche Mitteilung an die russische Seite sowie an das UNHCR und IKRK zu bestätigen. Russland hatte bereits mehrfach entsprechende Ankündigungen gemacht. Die Evakuierungsaktionen waren jedoch meist gescheitert, wofür sich beide Seiten gegenseitig die Schuld gaben.

Die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland über eine diplomatische Beilegung des Konflikts sollen dem ukrainischen Unterhändler David Arachamia zufolge am Freitag per Online-Schalte fortgesetzt werden. Zuletzt hatten die Unterhändler am Dienstag in Istanbul in direkter Begegnung miteinander verhandelt, ohne dass ein Durchbruch erzielt werden konnte.

(APA/Red)

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