Noch heute wird Fetischismus im Internationalen Krankheitscode (ICD 10) als Gebrauch toter Objekte als Stimuli für sexuelle Erregung oder Befriedigung beschrieben – und als Störung der Sexualpräferenz. Moderne Sexualwissenschafter dagegen halten Fetischismus für eine harmlose Marotte.
Psychotherapie sei nur bei echtem Leidensdruck notwendig oder dann, wenn ein Fetisch Sex mit einem lebendigen Partner komplett ersetzt. Sex ist vielfältig und bunt wie das Leben, sagt Erwin Häberle, Leiter des Magnus-Hirschfeld-Archivs für Sexualwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Den Versuch der Psychiatrie, normale und krankhafte Sexualität zu definieren, hält Häberle für anmaßend. Normal sei alles, was einem Menschen und seinen Mitmenschen nicht schade.
Peter Fiedler, Professor für Psychologie an der Universität Heidelberg, teilt diese Einschätzung: Was hinter den Türen passiert, ist Privatsache der Menschen – solange sie nicht andere stören oder sich selbst dabei verletzen. Selbstbefriedigung mit realen oder fantasierten Fetischen sei für viele ein heilsames Mittel, um sich auf sexuellen Fantasiereisen vom Alltagsstress zu erholen. Ob nun Pelzmäntel, Schnürstiefel, Urin oder Schweiß: Alles könne zum Fetisch werden, schreibt Erwin Häberle in seinem Kritischen Wörterbuch zur Sexualwissenschaft.
Das Wort Fetisch leitet sich von dem lateinischen Verb facere (machen) und dem portugiesischen Wort feitico (Zauber) ab. Bei Naturvölkern gelten als Fetische bestimmte Objekte, denen die Menschen Zauberkräfte zuschreiben. Der französische Psychologe Alfred Binet wandte im 19. Jahrhundert den Begriff erstmals an, um sexuelle Fixierungen auf Objekte zu erklären.
Fetischisten, betont Häberle, begehrten aber nicht nur tote Objekte wie im ICD beschrieben, sondern im Einzelfall auch einzelne Körperteile wie etwa Brüste, Füße oder den Bauchnabel. Der Psychologe Fiedler hält die Definition von Fetischismus im DSM IV, dem amerikanischen Handbuch der psychiatrischen Störungen, für besser als die des ICD: Eine Paraphilie oder krankhafte sexuelle Abweichung liege nur dann vor, wenn bestimmte sexuelle Fantasien länger als sechs Monate immer wieder auftauchten und der Betroffene davon so gefangen genommen werde, dass sein soziales Leben nicht mehr funktioniere.
In manchen Fällen sei das Interesse am Fetisch so exklusiv, dass Personen als Sexualpartner kaum noch beachtet würden, sagt Häberle. Die Übergänge zwischen einfachem und extremen Fetischismus seien fließend. In simpler Form diene der Fetisch als zeitweiliger Ersatz für eine geliebte Person. Als Beispiel führt Häberle Goethes Faust an, der Mephisto befiehlt, ihm eine greifbare Erinnerung an Gretchen zu bringen: Schafft mir ein Halstuch von ihrer Brust, ein Strumpfband meiner Liebeslust!
In anderen Fällen kann der Fetisch den Reiz einer Person selbst erhöhen – etwa, wenn der Partner Seidenunterwäsche trägt, ein bestimmtes Parfum benutzt oder gepierct ist. Während Fetischisten zu Goethes Zeiten kaum Möglichkeiten hatten, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, gibt es heute fast für jeden Fetisch ein eigenes Internetforum. Manche Fetischisten stehen auf nasse Kleidung und treffen sich regelmäßig zu Pool-Partys, andere outen sich als Erwachsenenbabys und geben sich Tipps, wo es die besten Schnuller zu kaufen gibt.
Relativ neu im Trend liegen Looner oder Luftballons-Fans. In einschlägigen Foren wird dabei zwischen Poppern, Non-Poppern und Semi-Poppern unterschieden – die einen erfreuen sich am Platzenlassen eines Luftballons, die anderen spielen nur damit, und passive Popper beobachten gerne Frauen, die Luftballons zerstören.
Über die Ursachen des Fetischismus gibt es verschiedene Theorien. Beim Windelfetischismus wird zum Beispiel gemutmaßt, starke Liebesentbehrungen seien der Auslöser, oder die Eltern der Betroffenen könnten ihre Kinder übertrieben früh zur Sauberkeit erzogen haben. Belege dafür gibt es nicht. Manchmal, sagt Peter Fiedler, sei Fetischismus das Symptom eines anderen psychischen Problems, etwa, wenn ein Mensch große Schwierigkeiten bei sozialen Kontakten habe oder nicht zu einer festen Partnerschaft im Stande sei. Primär behandele er als Therapeut dann nicht den Fetischismus, sondern die Beziehungsstörung.
Fetischismus trete auch bei Sexualstraftätern auf: Das hängt damit zusammen, dass sie viel alleine sind. Umgekehrt bedeute dies aber nicht, dass Fetischisten generell zu sexuellen Übergriffen neigten. Die meisten Psychotherapeuten, glaubt Fiedler, sehen Fetischismus heutzutage nicht als mehr pervers an. Manche Patienten allerdings kämen nach der Lektüre veralteter Fachbücher verstört zum Psychiater, weil sie sich für abnormal hielten. Ich hoffe, die geraten dann in die Hände der richtigen Therapeuten, sagt Fiedler.