Viele Emotionen am Volkstheater hindern
Zu viel Emotion kann allerdings manchmal auch hinderlich sein. Und so erweist sich die Durchführung des Vorhabens, für das Michael Sturminger als zurückhaltender, sein Handwerk verstehender Regisseur gewonnen wurde, als nicht ganz problemfrei. Einerseits wollte sich Mitterer eng an den historischen Fakten orientieren und so wenig wie möglich erfinden, andererseits ist die Realität mitunter zwar hochdramatisch, aber dennoch nicht immer bühnentauglich.
Aus der Tatsache, dass Neff ihre jüdische Freundin Lilli Wolff 1941-45 in ihrer Wiener Wohnung versteckte (und dafür später in Yad Vashem als “Gerechte unter den Völkern” geehrt wurde), entwickelt der Dramatiker zwei parallele Handlungsstränge: die von Eckert und ihrer Kollegin Martina Stilp mit großer, unpeinlicher Zärtlichkeit und Körperlichkeit umgesetzte Liebesgeschichte der beiden Frauen, die dem Druck des Zusammengesperrt-Seins auf Dauer nicht gewachsen ist, sowie ein Drama auf Raten, in dem die mögliche Aufdeckung des U-Boot-Daseins eine ständige Bedrohung darstellt. Inge Maux bekommt dabei die Schlüsselrolle der erpresserischen Frau Krottensteiner, die sich mit Kaffee und Ohrringen bestechen lässt – und füllt diese mit prallem Leben. Die Hausmeisterin ist ebensowenig Erfindung wie das Auftauchen des jungen Medizinstudenten Erwin Ringel (Robert Prinzler), der wie alle Männer in diesem Frauenstück jedoch eine blasse Randfigur bleibt.
Langer Abend im Volkstheater
Ralph Zeger hat die gutbürgerliche Wohnung naturalistisch als kleine Guckkasten-Bühne nachgebaut. Bei von Live-Musik Gerald Preinfalks untermalten Zeitsprüngen offenbart sie mittels Drehbühne ihre hölzerne Rückseite. Immer, wenn Kammerspiel und Krimi an dem mit zweieinhalb Stunden etwas zu lang ausgefallenen Abend durchzuhängen beginnen, entwickelt sich aus einer neuen Wendung neue Dramatik: Das Auftauchen zweier Kölner Freundinnen von Lilli (Nanette Waidmann und Claudia Sabitzer) verstärkt Eifersucht und Platznot, mit der Befreiung Wiens kommen russische Soldaten in die Wohnung. Dorothea rettet die vier Frauen mit Vorzeigen des Judensterns und Rezitation des jüdischen Gebets Schma Israel. “Ich wußte gar nicht, dass Du auch Jüdin bist”, sagt Lilli zu ihrer Freundin. “Ich bin Schauspielerin”, antwortet diese, am Ende ihrer Nerven.
Tolle Leistung von Andrea Eckert
Andrea Eckert stellt ihre Wandlungsfähigkeit im Verlauf des Stückes immer wieder unter Beweis, von der zärtlich Liebenden bis zur mit äußerster Selbstbeherrschung um ihr Leben Kämpfenden. Am stärksten ist sie jedoch, wenn sie die zunehmende Erblindung Dorothea Neffs nach dem Krieg spielt. Hier zeigt Eckert mit großer Intensität, wie gut sie ihre ehemalige Schauspiellehrerin studiert hat. Die Erinnerungen, die ihr beim Durchsehen alter Rollenfotos mit der neuen Lebensgefährtin Eva Zilcher (Annette Isabella Holzmann) kommen, die Verzweiflung, die sie angesichts des sie immer undurchdringlicher umhüllenden Dunkels packt, die Gewaltleistung, die sie beim Erarbeiten ihrer letzten großen Rolle, der Mutter Courage, erbringt – in diesen Momenten hält man den Atem an. Alleine für diese Momente lohnt der Abend.
“Du bleibst bei mir” wird sich als Stück abseits des Volkstheaters wohl schwer durchsetzen können. Für die viele positive Energie, die das Haus in einer gemeinsamen Kraftanstrengung zu bündeln versteht, ist es ein beachtlicher, gelungener Leistungsbeweis.
Infos zu “Du bleibst bei mir”:
“Du bleibst bei mir” von Felix Mitterer, Regie: Michael Sturminger, Bühne: Ralph Zeger, Kostüme: Nina Ball, Musik: Gerald Preinfalk; Nächste Vorstellungen: 11., 14., 17., 18., 21., 22.9., Karten: 01 / 52111-400; http://www.volkstheater.at