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F: Verhärtete Fronten im Arbeitsstreit

Die Entscheidung des Verfassungsrates, die Arbeitsrechtsreform der Regierung nicht zu beeinspruchen, hat in Frankreich zu einer weiteren Verhärtung der Fronten geführt.

Junge Reformgegner blockierten am Freitag zahlreiche Straßen und Bahnstrecken. Sämtliche Linksparteien riefen die Franzosen auf, an den „Streiks und Demonstrationen am kommenden Dienstag und allen folgenden Aktionen“ teilzunehmen. Gleichzeitig drängten sie Staatspräsident Jacques Chirac, das Gesetz, das den Kündigungsschutz für Berufsanfänger abbaut, nicht zu beurkunden und den Text an das Parlament zur nochmaligen Beratung zurückzuverweisen.

Der Chef der Gewerkschaft „Force Ouvriere“ (FO), Jean-Claude Mailly, warnte Chirac davor, das Gesetz zur Einführung des Erstanstellungsvertrages (CPE) mit zweijähriger Aufhebung des Kündigungsschutzes für Berufseinsteiger in Kraft zu setzen und zugleich die Sozialpartner zu Verhandlungen einzuladen. Ein solcher „Sozialgipfel“ war am Vorabend aus Kreisen der Regierung als mögliche „Kompromisslinie“ genannt worden. Die Reformkritiker würden sich in einem solchen Fall „gepflanzt“ fühlen, sagte Mailly in einem Radiointerview. Sozialisten, Kommunisten, Trotzkisten, Grüne und Linksliberale erinnerten daran, dass Chirac im Jahr 2002 mit den Stimmen der gesamten Linken in der Stichwahl (gegen den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen) mit 82,2 Prozent wiedergewählt worden war.

Chirac wollte am Abend (20.00 Uhr) in einer Fernsehansprache zu dem Konflikt Stellung nehmen. Nach Angaben aus seiner Umgebung will er die Reform verfassungsmäßig mit seiner Unterschrift in Kraft setzen und den Gewerkschaften gleichzeitig Nachbesserungen bei anschließenden Verhandlungen wie nach den Mai-Unruhen 1968 anbieten. Die Gewerkschaften lehnen ein solches Angebot strikt ab. Trotzkistenchef Olivier Besancenot sprach von einer „Kriegserklärung an die Jugend und die Beschäftigten“. Angesichts der Radikalisierung des Konflikts verlangte die Vizechefin der bürgerlichen Regierungspartei UMP, Roselyne Bachelot, am Freitag von Chirac Konsultationen vor einer Beurkundung des Gesetzes. Der sozialistische Oppositionschef Francois Hollande sagte, Chirac müsse die Konfrontation abwenden, wenn er nicht „für eine große Krise verantwortlich“ sein wolle.

Schüler und Studenten setzten ihre Protestaktionen gegen das CPE-Gesetz am Freitag fort. Wie an den Vortagen waren die meisten Universitäten und viele Schulen sowie erneut Bahnhöfe und Straßen blockiert. Dadurch wurde unter anderem der Regionalverkehr bei Paris behindert. In ihren Protesten angespornt fühlten sich Schülervertreter von der Anordnung des Erziehungsministers Gilles de Robien, Schulblockaden mit Polizeigewalt aufzuheben. Robien hatte dabei die Schüler nicht als Akteure angesprochen, sondern von ihrer „Manipulation durch Lehrer und Gewerkschafter“ gesprochen. Lehrer, die Schüler zu Demonstrationen ermuntert haben, sollen wegen Pflichtverletzung bestraft werden.

Premierminister Dominique de Villepin hatte den neuen Arbeitsvertrag ohne Abstimmung mit den Tarifparteien und gegen den Rat seines Sozial- und Arbeitsministers Jean-Louis Borloo angekündigt. Er hatte das Gesetz mit der Vertrauensfrage verbunden und damit im Eilverfahren durch die Nationalversammlung gebracht. Das Gesetz in Kraft zu setzen „wäre ein inakzeptabler Gewaltstreich“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Linksparteien. Diese forderten Chirac auf, das Gesetz zurückzuziehen und Verhandlungen mit den Gewerkschaften aufzunehmen. Erst danach sollte die Arbeitsmarktreform erneut im Parlament beraten werden.

Villepins Ansehen in der Bevölkerung hat bereits erheblichen Schaden genommen: Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS-Sofres sprechen ihm nur noch 29 Prozent der Franzosen ihr Vertrauen aus, das sind fünf Prozentpunkte weniger als vor einem Monat. Die Zustimmungswerte für Chirac fielen gemäß der Erhebung, die am (morgigen) Samstag im „Figaro-Magazine“ erscheint, von 23 auf 20 Prozent. Dagegen konnte UMP-Chef Innenminister Nicolas Sarkozy seine Umfragewerte von 44 auf 48 Prozent steigern.

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