In der Nacht zuvor waren es noch fast doppelt so viele gewesen. Die Regierung veröffentlichte am Mittwoch eine Liste mit mehr als 30 Städten, in denen das Notstandsgesetz von 1955 um Mitternacht in Kraft trat.
Angesichts der Schadenszahlen sprach ein Vertreter des Innenministeriums von einem sehr deutlichen Rückgang. Innenminister Nicolas Sarkozy hatte bereits bei einem Besuch in Toulouse am späten Dienstagabend von einem Abklingen der Unruhen gesprochen. Laut dem Ministerium gab es in der 13. Krawallnacht in Folge sehr viele Festnahmen. Seit Beginn der Unruhen am 27. Oktober seien insgesamt 1800 Menschen festgenommen worden.
Das 50 Jahre alte Notstandsgesetz aus dem Algerienkrieg ermöglicht seit Mittwoch 00.00 Uhr die Verhängung von Ausgangssperren und erweitert die Befugnisse der Polizei, etwa bei Hausdurchsuchungen. Die Gesetze gelten im gesamten Ballungsraum Paris sowie Großstädten wie Lyon, Marseille, Nizza, Straßburg, Avignon, Toulouse, Metz und Orleans. Die Polizei schloss auch Ausgangssperren in Paris nicht aus. Wenn nötig, würde dieses Mittel eingesetzt werden, sagte ein Sprecher der Polizei.
Als erste Stadt des Landes hatte Amiens den Jugendlichen eine nächtliche Ausgangssperre auf Basis des Notstandsrechtes auferlegt. Die Polizei griff in der Nacht zwei Jugendliche auf, die trotz Verbots auf der Straße waren, und brachte sie zu ihren Eltern. Verstöße gegen Ausgangssperren können mit zwei Monaten Haft und 3750 Euro Geldstrafe belegt werden.
Die Ausgangssperren haben uns ein zusätzliches Mittel gegeben, um gegen Gewalt und Randale vorzugehen, sagte der Kabinettschef von Innenminister Sarkozy, Claude Gueant. Gleichzeitig schloss er einen weitergehenden Ausnahmezustand aus. Der Belagungszustand gilt für eine Invasion oder einen Militäraufstand, aber das ist hier absolut nicht der Fall. Einschränkungen der Presse seien ebenfalls völlig ausgeschlossen.
Die Regierung erhält in der Bevölkerung trotz des Rückgriffs auf das Notstandsrecht, das teilweise als tiefer Einschnitt in die Bürgerrechte kritisiert wird, Unterstützung: In einer am Mittwoch im Parisien veröffentlichten Umfrage gaben 73 Prozent der Befragten an, sie seien für Ausgangssperren. 86 Prozent sagten, sie seien entrüstet über die Krawalle.
Der Vorsitzende der französischen Sozialisten, Francois Hollande, warf der Regierung indes vor, zu wenig gegen die Ursachen der landesweiten Unruhen zu tun. Premierminister Dominique de Villepin lege mit der Ausrufung des Notstands den Schwerpunkt auf die Wiederherstellung der Ordnung. Dies sei zwar notwendig, doch vernachlässige die konservative Regierung darüber soziale Fragen und Bildungsprobleme, sagte Hollande am Mittwoch im Radio France-Inter.
Ähnlich äußerte sich auch SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer. Der Einsatz von Polizei und Militär könne vielleicht kurzfristig zu einem Ende der Gewalt führen, deren Wurzeln würden damit aber nicht beseitigt. Kein Land ist davor gefeit, dass so etwas passieren kann, wenn man der Jugend keine Perspektive bietet, meinte er bei einer Pressekonferenz in Wien.
In Lyon warfen Angreifer am Dienstagabend einen Molotow-Cocktail in einen U-Bahn-Wagen. Daneben wurden Busse der öffentlichen Verkehrsgesellschaft von Steinewerfern angegriffen. Der Verkehr wurde daraufhin unterbrochen. In Toulouse gab es gewalttätige Zusammenstöße zwischen Jugendlichen und Bereitschaftspolizisten. In einem Außenbezirk von Bordeaux explodierte ein von Brandsätzen getroffener Verkehrsbus. Der Fahrer, einziger Insasse des Fahrzeugs, kam mit dem Schrecken davon. In Nizza wurde ein Mann von einer aus dem 15. Stock eines Hochhaus geworfenen Hantel getroffen und erlitt schwere Kopfverletzungen. In Arras zündeten Randalierer zwei Lagerhallen, eine Fabrik und einen Festsaal an.
Unterdessen wurden auch in Belgien und Deutschland erneut Fahrzeuge in Brand gesteckt. In Brüssel gingen laut Polizei vier Fahrzeuge in Flammen auf. Auch in Antwerpen, Gent und Lüttich wurden Autos angezündet. Bei den Brandstiftungen in Köln und in Berliner Stadtteilen handelt es sich den Börden zufolge aber um Einzelfälle.
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