AA

F: Nach Unruhen Kritik an Polygamie

Nach dem Abflauen der Unruhen in Frankreich haben Vertreter der konservativen Regierungspartei eine Debatte über Polygamie als mögliche Ursache für die fehlgeschlagene Integration von Einwandererfamilien losgetreten.

Die Vielehe sei „sicher einer der Gründe“ für die Krise in den Vorstädten, sagte der Fraktionschef der Regierungspartei UMP, Bernard Accoyer, am Mittwoch im Radiosender RTL. Ähnlich äußerte sich der Vizearbeitsminister Gerard Larcher. Scharfe Kritik kam von den Kommunisten, die von der Suche nach einem „Sündenbock“ sprachen. Nach der Nationalversammlung sollte am Abend auch der Senat der Verlängerung des Notstandes bis Februar zustimmen.

Große, polygame Familien könnten bei Jugendlichen unsoziales Verhalten hervorrufen, sagte Larcher laut „Financial Times“. Die Vielehe unter Immigranten sei auch einer der Gründe für das Entstehen rassistischer Vorbehalte gegenüber Minderheiten, die letztlich zur Abweisung auf dem Arbeitsmarkt führten. In der Presse war ein Beispiel aus Aubervilliers bei Paris genannt worden, wo eine Familie aus Schwarzafrika „mit vier Ehefrauen und 30 Kindern in einer Vierzimmerwohnung lebt“.

Kontroverse

„Alle Beobachter mit einem Minimum an klarem Verstand wissen, dass das Hauptproblem bei der Integration die Beschäftigung liegt“, sagte dagegen der kommunistische Abgeordnete Jean-Claude Sandrier. „Um von dem sozialen Problem der Arbeitslosigkeit abzulenken, erfindet die Rechte jetzt ein kulturelles Problem.“ Die Grünen sprachen von einem „echten Skandal“. Es gehe hier nur um eine sehr kleine Minderheit der Bevölkerung. Da die Vorwürfe auf afrikanische Familien zielten, hätten sie „den schlechten Geruch von Rassismus“. Polygamie ist in Frankreich gesetzlich verboten. Dennoch leben in dem Land Schätzungen zufolge bis zu 30.000 Familien, in denen die Vielehe praktiziert wird.

Unterdessen sind die nächtlichen Krawalle zwar weitergegangen, aber abgeebbt. In der 20. Nacht der Unruhen wurden 163 Autos in Brand gesetzt, wie die Polizei am Mittwochvormittag in einer abschließenden Bilanz mitteilte. Es gab 50 Festnahmen. Die schwerwiegendsten Vorfälle wurden erneut aus der Provinz gemeldet: In Grenoble wurde eine Schule in Brand gesteckt, in Chalons-en-Champagne nordöstlich von Paris eine weitere Bildungseinrichtung. Im südostfranzösischen Romans-sur-Isee wurde eine Kirche angezündet. Es war unklar, ob ein Zusammenhang mit den Unruhen besteht. Staatspräsident Jacques Chirac sprach von einem „nicht akzeptablem Akt“.

Statistik

In der Vornacht waren noch 215 Autos in Brand gesteckt und 71 Menschen festgenommen worden. Seit Beginn der Unruhen am 27. Oktober sind 8973 Fahrzeuge in Flammen aufgegangen. Seitdem wurden 126 Polizisten und Gendarmen verletzt. Bei seinem von manchen als hart kritisierten Kurs gegen jugendliche Krawallmacher kann der französische Innenminister Nicolas Sarkozy indes auf eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung zählen. In einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage im Auftrag des Wochenmagazins „Le Point“ befürworteten 68 Prozent der Befragten seine Politik seit Beginn der Unruhen Ende Oktober. 64 Prozent meinten gleichzeitig, Sarkozy sei der Politiker, der am besten geeignet sei, „dauerhafte Lösungen“ für das Problem in den Vorstädten zu liefern.

Sarkozy fand auch mit seiner umstrittenen Ankündigung, ausländische Krawallmacher abzuschieben, mehrheitlich Zustimmung. 63 Prozent sprachen sich in der Umfrage dafür aus, 32 Prozent dagegen. Die Nationalversammlung hatte am Dienstagabend gegen den Widerstand der linken Opposition die Verlängerung des Notstandsrechtes um drei Monate gebilligt. Nach der erwarteten Zustimmung des Senats an diesem Mittwochabend kann die Regierung damit bis zum 21. Februar 2006 weiter Ausgangssperren für Jugendliche in Problemvierteln durchsetzen.

Die Notstandsgesetze ermöglichen 38 französischen Städten und Gemeinden unter anderem die Verhängung von Ausgangssperren, Hausdurchsuchungen ohne richterliche Genehmigung und das Verbot öffentlicher Versammlungen. Nur wenige Städte machten jedoch davon Gebrauch. Auch der Verkauf von Benzin an Jugendliche war zum Teil verboten worden, ebenso wie der Transport des Treibstoffs in Kanistern. Damit wollten die Behörden dem Bau von Molotow-Cocktails vorbeugen.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • F: Nach Unruhen Kritik an Polygamie
  • Kommentare
    Die Kommentarfunktion ist für diesen Artikel deaktiviert.