Die jugendlichen Täter stammen überwiegend aus dem muslimischen Nord- und Schwarzafrika, ihr Opfer war ein Jude. Die wochenlange Folterung und die Ermordung des 23-jährigen Ilan Halimi hat in Frankreich Furcht vor einer Brutalisierung des Antisemitismus ausgelöst – und vor einem Konflikt der Religionsgemeinschaften. Ilan wäre nicht getötet worden, wenn er kein Jude wäre, klagte seine Mutter, Ruth Halimi, der israelischen Zeitung Haaretz. Auf einer Demonstration forderten Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Paris Rache für die Bluttat. Die Rechtsradikalen sehen sich in ihrer Politik bestätigt. Der Mord sei ein Ergebnis von 40 Jahren unkontrollierter Einwanderung, erklärte der Führer der Nationalen Front, Jean-Marie Le Pen.
Drei Wochen lang hatten die jungen Täter den 23-jährigen Halimi in einem Einwandererviertel bei Paris gefangen gehalten und 450.000 Euro Lösegeld gefordert. Auch wenn ein Täter bei einem Erpressungsanruf kurz eine Koransure zitierte, waren die Erpresser wohl nicht religiös motiviert, sondern am Geld interessiert. Der untergetauchte Bandenchef Youssouf Fofana, der aus Elfenbeinküste (Cote dIvoire) stammt, nannte sich selbst The brain of Barbarians (Das Gehirn der Barbaren). So nennen sich Vorstadt-Gangster, keine Muslimkämpfer.
Doch in ihrem Verhalten offenbarten die Täter ihren Antisemitismus. Ihr seid Juden. Sucht das Geld in den Synagogen, erklärten sie Halimis Familie. Ermittlungsrichterin Corinne Goetzmann weitete die Ermittlungen auf Gewalt aus religiösen Beweggründen aus. Das heißt aber noch nicht, dass der Vorwurf bis zum Prozess bestehen bleibt.
Mindestens drei weitere Juden sollen vor Halimi Opfer von Entführungsversuchen der Bande geworden sein. Wir wissen, dass vor einigen Monaten eine 16-jährige Jüdin entführt wurde, sagte Ruth Halimi der Haaretz. Die Eltern hätten 100.000 Euro Lösegeld gezahlt, ohne die Polizei zu alarmieren. Ihr habe die Polizei verboten, auf die Erpressung einzugehen, fügt sie verbittert hinzu.
Entsetzen löst vor allem die grausame Behandlung Halimis aus. Der junge Mann wurde nackt mit verbundenen Augen und überklebtem Mund gefangen gehalten. Die Täter fotografierten ihn nach dem Vorbild der Entführerfotos aus dem©Irak. Als Halimi starb, waren 80 Prozent seines geschundenen Körpers von Schnitt- und Brandwunden bedeckt.
95 Prozent der Hörer von Radio Shalom glaubten, dass Ilan wegen seiner Religion gequält worden sei, berichtet der Redaktionschef des jüdischen Senders, Bernard Abouaf. Die Meinung ist: Man hat ihn für die Mohammed-Karikaturen und Abu Ghraib büßen lassen. Doch Abouaf mahnt, vor einem Urteil erst die Ermittlungen abzuwarten.
Auch die Menschenrechtsorganisation SOS Racisme warnt vor voreiligen Schlüssen, und die Liga für Menschenrechte LDH erklärte: Es handelt sich um ein kriminelles und kein gesellschaftliches Verbrechen. Doch die Angst steckt allen in den Gliedern. Seit den Herbstunruhen in den Einwanderervororten schwelt die Glut unter der Asche, erklärte der sozialistische Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur, Dominique Strauss-Kahn. Man sucht Sündenböcke. Und die Juden waren schon häufig Sündenböcke einer kranken Gesellschaft.
Besorgt mahnt der jüdische Dachverband CRIF, keine voreiligen Schlüsse über die Beweggründe der Täter zu ziehen. CRIF-Chef Roger Cukierman präsentierte sich am Montagabend demonstrativ Hand in Hand mit dem Rektor der Pariser Moschee, Dalil Boubakeur, und Premierminister Dominique de Villepin den Fotografen. Wir müssen fanatische Repressalien vermeiden, mahnt auch Salah M., der aus Ägypten stammende Vater eines 18-jährigen mutmaßlichen Mittäters. Der kosmopolitisch denkende Korrespondent einer ägyptischen Zeitung ist am Boden zerstört. Er fürchtet seinen Traum von der Gemeinschaft der Menschen von seinem eigenen Sohn verraten.