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Experte kritisiert EU-Verhalten im Ukraine-Krieg

Ein deutscher Experte kritisiert das Verhalten der EU im Ukraine-Krieg.
Ein deutscher Experte kritisiert das Verhalten der EU im Ukraine-Krieg. ©JOHN THYS / AFP
Am Mittwoch übte Christian Mölling, Forschungsdirektor der DGAP (Deutsche GEsellschaft für Auswertige Politik) Kritik an dem Verhalten der Europäischen Union im Ukraine-Krieg.
LIVE-Blog zur Ukraine am Mittwoch

So sagte er zur Ankündigung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Ukraine einen Beitritt anzubieten: "Das ist Wahnsinn, dafür muss man Kriterien erfüllen."

Experte kritisiert EU-Verhalten im Ukraine-Krieg

Bei einem solchen Schritt werde es Widerstand besonders von süd- und südosteuropäischen Staaten geben. Dabei sei auch die Beistandsklausel der EU zu berücksichtigen. "Ich bin entsetzt gewesen, wie Brüssel in den letzten Tagen diese Krise gehandelt hat", sagte Mölling. Die Ankündigung des EU-Außenbeauftragten Josep Borell, Flugzeuge zu liefern, nannte er einen "diplomatischen Super-GAU".

"Deutschland steht im Mittelpunkt, weil es viele Dinge falsch machte"

"Deutschland steht im Mittelpunkt, weil es viele Dinge falsch gemacht hat", weil es in der Vergangenheit ein härteres Vorgehen gegen Russlands Präsidenten Putin immer wieder blockiert habe. "Die Politik gegenüber Russland und der Ukraine ist Staatsverantwortung." Allerdings habe es aufgrund der "Verantwortungsdiffusion" keinen Sinn jemanden an den Pranger zu stellen, etwa die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz habe am Sonntag in seiner Rede im Bundestag von einer "Zeitenwende" gesprochen. "Was wir wirklich erleben, ist eine Kernschmelze alter Konzepte", sagte Mölling. "Die Doppelmoral konnte Deutschland ertragen, bis der Krieg ausbrach."

Mölling kritisiert die Idee einer europäischen Armee

Einigen in der SPD beginne nun zu dämmern, dass die Worte von Scholz Gewaltiges bedeuten, vermutete der Experte. "Eine europäische Armee würde bedeuten, dass wir den Parlamentsvorbehalt auflösen. Hier wird man in der SPD und bei den Grünen merken, dass man alte Positionen neu überdenken wird müssen. Das wird ein schmerzhafter Prozess sein." Durch die Tatsache, dass die Union in Opposition ist, könne die SPD jetzt ein positives Narrativ zur Verteidigung spinnen. Nun sei es Aufgabe der Regierungskoalition, das Beschlossene durchzusetzen.

EU könne Auslöschung eines Landes nicht akzeptieren

"Putin hat es geschafft Deutschland aus seiner Komfortzone herauszuführen: Dass die Welt draußen anders ist, als sie bis dahin in den Köpfen mancher Politiker existiert hat", so Mölling. "Wenn Putin die ganze Ukraine einnimmt, wird man sehr schnell eine Exilregierung aufbauen müssen, und da sehe ich Berlin in erster Reihe, um sie aufzunehmen. Denn Deutschland hat eine Verantwortung aufgrund seines bisherigen Verhaltens Russland und der Ukraine gegenüber." Aus Sicht der Europäischen Union könne man die Idee, man könne ein Land von der Landkarte löschen, nicht akzeptieren. "Deshalb die Idee mit der Exilregierung als Stachel im Fleisch, dass wir nicht früh genug reagiert haben."

"Scholz hat versucht Antworten zu geben"

Die geopolitische Frage, die sich Deutschland seit Jahrzehnten stellen müsse, sei mit der Wiedervereinigung neu aufgebrochen. "Scholz hat versucht Antwort gegeben. Ob sie auch weiter gilt, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen." Seine Rede am Sonntag ziele darauf ab, seine Partei hinter sich zu vereinigen, und das sei vorerst gelungen: "Er hat seine internen Kritiker vorerst zum Schweigen gebracht und an internationaler Kredibilität gewonnen." Aber: "Die Euphorie wird in den nächsten Jahren abnehmen, weil Sicherheitspolitik in Deutschland keine so große Rolle spielt", vermutete der DGAP-Direktor.

"Wir haben im Hier und Jetzt eine Romantisierung der SPD-Politik der 70er Jahre. Das war der einzige Bereich, wie man sich der CDU gegenüber positionieren konnte: Wir sind für Entspannung." Man habe aber mit der Zeit den Wertemaßstab verloren, wann man nicht mehr miteinander reden könne. "Die Realisten in der SPD waren immer leiser, haben Boden verloren, werden aber nun lauter", sagte Mölling. "Doch die Mittelschicht in der Partei hängt an der Friedensgeschichte, weil ihre Karriere dran hängt." Dies bedeute für Olaf Scholz eine enorme Arbeit nach innen, um seine Partei auf die neue Linie einzuschwören. "Ich sehe das ähnlich für die Grünen, aber die hatten früher schon einen normativen Kompass, was richtig und falsch ist."

Widerstandsfähigkeit der Ukraine prägt Nachkriegsergebnis

Das Nachkriegsergebnis hängt laut Mölling von der Geschwindigkeit Russlands ab den Krieg fortzusetzen und der Widerstandsfähigkeit der Ukraine. "Je mehr Zeit Russland braucht, umso mehr sind Verhandlungen möglich. Denn je mehr Zeit gewonnen wird, umso mehr werden die Sanktionen spürbar." Putin verschiebe die Grenze nach Westen, obwohl er der NATO vorgeworfen habe ihre Grenzen nach Osten zu verschieben. "Dieser Krieg ist mitnichten vorbei, wenn die große Konfrontation vorbei ist. Es gibt bereits Tendenz zu internationalen Freischärlern." Als gesichert bezeichnete Mölling, dass Belarus Aufmarschgebiet für Russland ist. "Das wird auch in der Ukraine passieren, eventuell auch in Moldawien, wobei ich eher glaube, dass Russland einen Ring schwacher Staaten um sich ziehen wird."

Perspektive auf Taiwan verändert

Verändert das die Perspektive auf Taiwan? "Man müsste hoffen: ja", sagte der deutsche Experte. "Wir haben das größte nichtmilitärische Sanktionspaket auf den Weg gebracht, das massiven Schaden anrichtet. Dass darunter Deutschland bereit ist, finanzielle Einbußen hinzunehmen, kann als Zeichen an China verstanden werden. Wir verschieben Marktzugänge, Finanzströme werden in Frage gestellt - da erleben wir eine extrem volatile Situation. Ich glaube nicht, dass China auf Abenteuer aus ist."

(APA/Red)

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