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Europa hat ein Drohnenproblem – und die Lösung ist nicht einfach

Links: Einsatz nach Drohnenalarm in Dänemark. Rechts: Ein belarussischer Soldat arbeitet an einer Drohne beim Manöver „Zapad-2025“ in Belarus. (Symbolbild)
Links: Einsatz nach Drohnenalarm in Dänemark. Rechts: Ein belarussischer Soldat arbeitet an einer Drohne beim Manöver „Zapad-2025“ in Belarus. (Symbolbild) ©AFP; APA
Um sich auf einen möglichen Konflikt mit Russland vorzubereiten, lässt Estland Gräben ausheben, errichtet Bunker und verlängert Zäune entlang der Grenze.

Doch gegen die Gefahr, die von potenziellen Drohnenangriffen und elektronischen Störmanövern aus Moskau ausgeht, helfen diese klassischen Verteidigungsanlagen kaum. Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer stehen Staaten an der Ostflanke der Nato vor einer Herausforderung, die sich im Ukraine-Krieg als Schlüsselfaktor erwiesen hat: der Fähigkeit zur Abwehr billiger, aber gefährlicher unbemannter Fluggeräte.

Lücken in der Luftverteidigung der Nato-Länder

Das Eindringen von etwa 20 russischen Drohnen in den polnischen Luftraum vor wenigen Wochen hat ein Schlaglicht auf Lücken in der Luftverteidigung der Nato-Länder geworfen. Kampfjets im Wert von mehreren Millionen stiegen auf, um auf Drohnen zu reagieren, die nur ein paar Tausend Euro kosten. Der Kreml wies den Vorwurf einer gezielten Provokation zurück.

Dänemark spricht nach Drohnenalarm von "professionellem Akteur"

Bei dem jüngsten Drohnenalarm über dänischen Flughäfen war zunächst unklar, wer dahinter steckt. Dänemarks Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen sprach am Donnerstag von einem "professionellen Akteur" und einem systematischen Vorgehen. Justizminister Peter Hummelgaard sagte, das Ziel sei gewesen, Angst und Spaltung zu säen. Angesichts des wachsenden Problems wollten sich am Freitag Verteidigungsminister von EU-Staaten treffen, um über eine verbesserte Drohnenabwehr zu sprechen.

Die Nato warnte Russland am Dienstag, sie werde sich gegen weitere Verletzungen ihres Luftraums entschieden verteidigen. In der vergangenen Woche hatte Estland Moskau vorgeworfen, mit drei Kampfflugzeugen in den Luftraum des Baltenlandes eingedrungen zu sein. Mit der Identifizierung von Bedrohungen durch Jets und Raketen hat das Militärbündnis Erfahrung. Der Umgang mit Drohnen sei eine größere Herausforderung, heißt es in Verteidigungskreisen.

"Eine echte Lücke, die wir schließen müssen"

Die meisten der Drohnen in Polen seien gar nicht entdeckt worden, sagt Hanno Pevkur, der estnische Verteidigungsminister. "Das ist eine echte Lücke, die wir schließen müssen." Militär- und Verteidigungsvertreter aus Estland, Lettland und Litauen sagten der Nachrichtenagentur AP, die Abwehr von Drohnen erfordere die Lösung komplexer technologischer, finanzieller und bürokratischer Probleme. Europa brauche günstigere Technologien und müsse Produktions- und Beschaffungszyklen beschleunigen. Doch selbst dann entwickle sich die Drohnentechnologie so schnell, dass alles, was jetzt gekauft wird, schon in wenigen Monaten veraltet sein könnte.

"Was ich brauche, ist Technologie, die gut genug, erschwinglich und massenhaft produzierbar ist", sagt Estlands Heereskommandeur Andrus Merilo. Er brauche keine High-End-Waffen, von denen er nur eine einsetzen könne - gegen Ziele, die hundertfach angreifen.

Drohne sei "ein Lottoschein, der immer gewinnt"

Kusti Salm, ehemals hoher Beamter im estnischen Verteidigungsministerium, sagt, jede Drohne sei "ein Lottoschein, der immer gewinnt". Deshalb setze Russland jede Nacht Drohnen in der Ukraine ein. Entweder treffe eine Drohne ihr Ziel - oder sie werde mit einer Rakete vom Himmel geholt, was die ukrainische Luftabwehr und die Finanzen belaste, weil Raketen teurer seien als Drohnen, sagt der Unternehmer, der seit dem vergangenen Jahr Geschäftsführer von Frankenburg Technologies ist. Das Unternehmen entwickelt günstige Raketen zur Drohnenabwehr.

Obwohl Russland und die Ukraine mehr und mehr auf Drohnenangriffe setzten, sei nur wenig in Systeme zur Drohnenabwehr investiert worden. Es sei eben einfacher, eine Drohne in die Luft zu bekommen als etwas zu entwickeln, das sie entdeckt oder vom Himmel holt.

Langsame, tieffliegende Drohnen aus Holz, Glasfaser, Plastik oder Polystyrol werden von Radarsystemen oft übersehen, für Vögel oder Flugzeuge gehalten. Verteidigungssysteme umgehen können feindliche Agenten auch, indem sie Drohnen erst innerhalb eines Landes starten lassen, das sie angreifen wollen. Die Ukraine hat das bei Angriffen auf russische Militärflugplätze in diesem Jahr demonstriert.

Der estnische Militärchef Merilo führt weitere Probleme bei der Drohnenabwehr an: Die elektronische Störung von Drohnen des Feindes oder dessen Kommunikation könne auch die eigenen Systeme beeinträchtigen.

Die Zahl der Länder, in denen Drohnen gesichtet wurden oder zu Boden gingen, ist im Laufe des Krieges stetig angewachsen. Die Vorfälle machten deutlich, dass Europa sein Drohnenproblem sofort lösen müsse, sagt Māris Tūtins, Leiter der Abteilung für Informationsanalyse und Operationen im Hauptquartier der Vereinigten Streitkräfte Lettlands.

Unter den europäischen Staats- und Regierungschefs wächst die Unterstützung für den Aufbau einer Art Drohnenmauer entlang der Ostgrenzen der EU. Allerdings verweigerte der Staatenbund einem gemeinsamen Vorschlag Estlands und Litauens für ein solches Projekt im März Finanzmittel.

Estlands Verteidigungsminister Pevkur sieht darin ein Versäumnis, weiß aber auch um die Schwierigkeiten, eine wirksame Drohnenabwehr ins Werk zu setzen. "Drohnen sind keine Mücken", sagt er und legt damit nahe, dass es unwahrscheinlich sei, dass eine "elektronische Mauer" entlang der Nato-Grenzen nach dem Prinzip einer elektrischen Fliegenfalle funktionieren könne.

Verschiedene Arten von Drohnen

Es gibt viele verschiedene Arten von Drohnen - von hoch fliegenden Aufklärungsgeräten über Angriffsmodelle bis hin zu solchen, die während des Einsatzes an einem dünnen Glasfaserkabel hängen und dadurch nicht gestört werden können. Russland setzt in der Ukraine zudem Attrappen ohne Sprengladung ein, die einzig dazu dienen, die Luftabwehr des Gegners zu ermüden.

Der estnische Heereskommandeur Merilo sagt, ein wirksames Konzept zur Drohnenabwehr müsse aus mehreren Schichten bestehen. Dazu gehörten Sensoren, elektronische Kampfführung sowie der Einsatz günstiger Kleinraketen oder eigener Angriffsdrohnen.

"Wir müssen dieses Spiel verstehen"

Dass es bislang nur möglich sei, "wirklich teure" Systeme zu kaufen, habe womöglich auch damit zu tun, dass große Rüstungsunternehmen, die über Jahrzehnte Milliarden in die Entwicklung teurer Verteidigungssysteme investierten, wenig Interesse daran hätten, etwas neues auf den Markt zu werfen, das günstiger sei. "Wir müssen dieses Spiel verstehen", sagt Merilo. Zwar gebe es einige Technologien, die Frage sei aber, wer sie produzieren werde - und wie schnell.

Derweil zwingen die nächtlichen Angriffe Kiew dazu, eigene Technologien zu entwickeln, während Lettland und einige andere Nato-Länder sich Salms Unternehmen Frankenburg zugewandt haben, um kleine Anti-Drohnen-Raketen zu kaufen, sobald sie in Produktion gehen. Ein unsystematischer Ansatz sei aber nicht ideal, sagt Salm. Die EU müsse vielmehr in europäische Start-ups investieren, die einer Drohnenverteidigung Auftrieb geben könnten, die bei verschiedenen Verbündeten und in verschiedenen Waffensystemen funktioniere.

Russland setze alle Mittel ein, um Europa zu destabilisieren

In der Ukraine vergehen manchmal nur Wochen zwischen der Entwicklung einer Technologie und ihrem Einsatz auf dem Schlachtfeld. Litauens stellvertretender Verteidigungsminister Tomas Godliauskas sagt, Europa habe keine Zeit, um auf Einkaufsmöglichkeiten zu warten. Eine weitere Lehre aus der Ukraine sei auch, dass das, was heute funktioniere, morgen vielleicht schon unbrauchbar sei. Und so wichtig die Drohnenabwehr heute sei, so sehr gelte es auch, andere Bereiche nicht aus dem Blick zu verlieren: Russland setze alle Mittel ein, um Europa zu destabilisieren, darunter auch hybride Kriegsführung und Cyberattacken.

(dpa)

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