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EuGH kippt Stabilitätsbeschluss

Im Streit um die Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts hat die EU-Kommission einen Etappensieg errungen. Das Urteil wurde allgemein begrüsst.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hob am Dienstag in Luxemburg die Erklärung des Finanzministerrats (Ecofin) vom November auf, mit der sie die Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich ausgesetzt und zugleich frühere Sparauflagen ohne Vorschlag der Kommission geändert hatten. Als Grund nannten die Richter, dass die EU-Kommission in die Entscheidung nicht eingebunden gewesen sei.

Finanzminister Karl-Heinz Grasser – der im Mai gefordert hatte, Defizitsündern in Europa das Stimmrecht zu entziehen – zeigte sich zufrieden über das Urteil und sprach von einem „großen Erfolg“ der EU-Kommission sowie jener Mitgliedsländer, die damals gegen die Mehrheit der anderen Länder diese Vorgangsweise abgelehnt hätten. Mit dem EuGH-Erkenntnis sei die Stellung der Kommission gestärkt, die Grenze der Mitgliedsländer bei Verfahren nach dem Stabilitätspakt aufgezeigt.

Das Gericht urteilte, der Ecofin sei entgegen der Auffassung der Kommission nicht verpflichtet gewesen, die von der Behörde empfohlene Verschärfung der Defizitverfahren zu beschließen. Auch könne der Ecofin die von der Kommission vorgeschlagenen Sparauflagen ändern, wenn er die Wirtschaftsdaten anders beurteile als die Kommission. Die Entscheidung vom November verstoße aber gegen EU-Recht. So habe der Ecofin zum einen seine früheren Sparempfehlungen an beide Länder ohne eine neue Empfehlung der Kommission geändert. Dies verstoße gegen das Initiativrecht der Kommission. Zudem hätten die Finanzminister ihre Möglichkeiten weiterer Mahnungen an Frankreich und Deutschland beschränkt, indem sie auf die Selbstverpflichtungen beider Länder gesetzt hätten statt die früher vom Ecofin formal festgesetzten Auflagen einzufordern.

EU-Kommissionspräsident Romano Prodi begrüßte das Urteil. Damit würden Entscheidungen zur Haushaltspolitik in Zukunft „transparenter und vorhersehbarer“, sagte Prodi. Zudem seien jetzt die Rollen zwischen Rat und Kommission klar verteilt. Prodi betonte, mit dem Urteil gelte im Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich der Stand von 24. November 2003, was bedeutet, dass für die Brüsseler Behörde die Defizitverfahren gegen Berlin und Paris nicht ausgesetzt sind.

Für den Rat der Finanzminister erklärte die amtierende niederländische EU-Präsidentschaft, das Urteil erleichtere die Interpretation der entsprechenden Artikel des Paktes und stelle die Rolle von Rat und Kommission in dem Prozedere klar. Der niederländische Finanzminister Gerrit Zalm kündigte für den Herbst eine Debatte der Minister darüber an, wie die Anwendung des Paktes gestärkt und geklärt werden könnte.

Auch der designierte nächste EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso sprach sich für transparentere EU-Haushaltsregeln, aber gegen Änderungen an den Grundpfeilern des Stabilitätspakts aus.

Das deutsche Finanzministerium erklärte, im zentralen Punkt habe der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Ecofin-Entscheidung bestätigt: „Es gibt im Defizitverfahren keinen Automatismus.“ Vielmehr stehe dem Rat ein Entscheidungsspielraum zur Verfügung, den er genutzt habe.

Der Ecofin hatte bereits Anfang 2003 auf Vorschlag der EU-Kommission festgestellt, dass in Deutschland und Frankreich ein übermäßiges Defizit bestehe, und entsprechende Empfehlungen zum Abbau der Neuverschuldung beschlossen. Im November 2003 machte der damalige EU-Währungskommissar Pedro Solbes Sparvorschläge, weil Berlin und Paris die zuvor angemahnten EU-Forderungen nicht erfüllen würden.

Mit dem Vorschlag der EU-Kommission wäre das Verfahren allerdings verschärft worden und Sanktionen gegen Deutschland in Form einer Milliarden-Geldbuße wären näher gerückt. Dagegen wehrte sich Deutschlands Finanzminister Hans Eichel. Auf Druck der deutschen Regierung kam im Rat für den Kommissionsvorschlag nicht die erforderliche Mehrheit zusammen. Stattdessen verabschiedeten die Finanzminister eine Erklärung, nach der die Defizitverfahren gegen beide Länder aufgehoben werden. In den Schlussfolgerungen verpflichteten sich Deutschland und Frankreich im Gegenzug, 2005 die Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts wieder einzuhalten. Lediglich die Niederlande, Österreich, Finnland und Spanien standen damals auf der Seite der EU-Kommission.

Solbes sah in der Erklärung einen Verstoß gegen den Pakt und reichte im Jänner dieses Jahres in Luxemburg Klage gegen den Rat ein. Die EuGH-Richter stellten jetzt fest, dass der Rat „auf Grund abweichender Beurteilung der Wirtschaftsdaten“ einen von der Kommission empfohlenen Rechtsakt zwar ändern könne. Allerdings könnten die Minister eine bereits angenommene Sparempfehlungen gegen einen Mitgliedstaat „später nicht ohne erneute Empfehlung der Kommission ändern“.

Zugleich stellten die Richter aber fest, „dass keine – auch keine implizite – Entscheidung … zu Stande kommt“, wenn im Rat die erforderliche Mehrheit für einen Kommissionsvorschlag nicht zu Stande kommt. Die Richter erkannten entsprechend an, dass sich ein Ruhen des Defizitverfahrens aus dem Umstand ergeben könne, wenn im Rat die für die Annahme des Kommissionsvorschlags erforderliche Mehrheit nicht zu Stande kommt.

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Definition: Stabilitäts- und Wachstumspakt
Chronologie: Der Streit um das deutsche Defizit

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