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EU: Will acht Kapitel einfrieren

Die EU-Kommission hat empfohlen, acht Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einzufrieren. Das teilte die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel mit.

Die EU reagiert damit auf die Weigerung der Türkei, ihre See- und Flughäfen für Zypern zu öffnen.

Bei den acht Kapiteln, die die EU-Kommission einfrieren will, bis die Türkei ihren Verpflichtungen aus der Zollunion mit der EU nachkommt, handelt es sich um: Freien Warenverkehr, Niederlassungsrecht und freier Dienstleistungsverkehr, Finanzdienstleistungen, Landwirtschaft, Fischerei, Verkehr, Zollunion und Außenbeziehungen.

Neben dem Einfrieren von acht Kapiteln schlug die EU-Kommission am Mittwoch zudem vor, dass vorerst auch kein Kapitel abgeschlossen werden kann, bis die Türkei die See- und Flughäfen für Zypern öffnet.

Die EU sei „eine auf Recht basierte Gemeinschaft. Es darf nicht ohne Konsequenzen bleiben, wenn rechtliche Verpflichtungen nicht erfüllt werden. Wir müssen klar machen, dass ’Pacta sunt servanda’ ein grundlegendes europäisches Prinzip ist“, sagte EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn in der mit Verspätung begonnenen Pressekonferenz in Brüssel. Man müsse den Beitrittsprozess am Leben halten, es gebe keine „Zugs-Kollision“, aber ein „Verlangsamen wegen Arbeiten an den Geleisen“. Die EU brauche die Türkei ebenso wie die Türkei die EU.

Ankara will Zeit bis zum Dezember-Gipfel nutzen

Die Türkei ist über den Teilstopp ihrer Beitrittsverhandlungen mit der EU verärgert, will aber alles daran setzen, bis zum Gipfel Mitte Dezember in ihrem Sinne noch Verbesserungen zu erreichen. „Inakzeptabel“ sei die Empfehlung der EU-Kommission, wetterte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, den die Nachrichten vom Brüsseler Beschluss beim NATO-Gipfel in Riga erreichte. Erdogan stürzte sich gleich in eine ganze Serie von bilateralen Gesprächen mit EU-Politikern, die ebenfalls in Riga waren. Auch mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel kam er zusammen.

Einer der wichtigsten außenpolitischen Berater Erdogans betonte unterdessen, noch sei nichts entschieden. Wie immer am Ende das Ergebnis aussehe, werde die Türkei die EU-Verhandlungen nicht komplett abbrechen: „Wir werden nicht vom Tisch aufstehen“. Möglicherweise wird es an diesem Tisch aber nicht mehr viel zu verhandeln geben.

Türkische Medien berichteten aus Riga, Erdogans Mannschaft dort sei von der Zahl von sechs Verhandlungskapiteln ausgegangen, die wegen des Streits um die Hafenöffnung ausgesetzt werden könnten. Mit acht Kapiteln habe niemand gerechnet. Auch deshalb sei Erdogan so erbost gewesen. Der italienische Ministerpräsident Romani Prodi habe Erdogan in einem bilateralen Gespräch aber gesagt, sich in den nächsten zwei Wochen innerhalb der EU für die Türkei einsetzen zu wollen.

Die Türkei will ihre Häfen für die griechischen Zyprer erst dann öffnen, wenn die EU ihren Handelsboykott gegen die türkischen Zyprioten lockert. Das hatte Brüssel vor zwei Jahren zugesagt. „Wir verlangen nichts weiter, als dass die EU sich an ihre eigenen Beschlüsse hält“, sagte Erdogan-Berater Egemen Bagis im Fernsehen. Noch könne aber von einer „Entscheidung“ der EU keine Rede sein: „Das Interessante ist der Gipfel“, sagte Bagis mit Blick auf das Treffen der Staats- und Regierungschefs am 15. Dezember.

„Unsere Bemühungen werden weiter gehen.“ Die Tatsache, dass der finnische Ministerpräsident und amtierende EU-Ratspräsident Matti Vanhanen noch in dieser Woche nach Ankara kommen will, ist ein Zeichen dafür, dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit möglicherweise noch nicht gesprochen ist.

Türkische EU-Experten weisen bereits seit Wochen darauf hin, dass ein Teilstopp der Beitrittsverhandlungen wegen Zypern an der tatsächlichen Situation bei den Verhandlungen nichts ändern werde, weil das EU-Mitglied Zypern schon jetzt jeden Fortschritt per Veto verhindere. Dass die Türkei nun aber für ihr Nein zur Hafenöffnung offiziell bestraft werden soll, gibt dem Streit eine neue Dimension. Der Europaforscher Emre Gönen warf der EU am Mittwoch eine „offene Provokation“ vor, auf die die Türkei besonnen reagieren müsse.

Wie Ankara bis zum Gipfel einen Ausweg im festgefahrenen Streit um die Hafenöffnung finden will, ist derzeit völlig unklar. Vermittlungsbemühungen der finnischen Ratspräsidentschaft waren am Montag gescheitert. Die Vereinten Nationen wollen im kommenden Frühjahr mit einem neuen Anlauf für eine umfassende Zypern-Lösung beginnen, doch auch von dieser Initiative ist nicht unbedingt eine Lösung des Konflikts auf der seit 1974 geteilten Mittelmeerinsel zu erwarten.

Das wahrscheinlichste Resultat der Kommissionsempfehlung vom Mittwoch sei deshalb eine „Halb-Eiszeit“ im Verhältnis zwischen der Türkei und der EU, analysierte der türkische Ex-Diplomat Temel Iskit: Die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei wären dann zwar nicht offiziell, aber faktisch gestoppt.

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